■ SURFBRETT: Online ohne Unterwäsche
Früher durften die kleinen Jungs nicht mit den Händen unter der Bettdecke spielen. Sie taten es natürlich doch. Heute sollen kleine Jungs nicht mit dem Computer spielen. Das macht dumm, heißt es, wie es schon damals hieß, als sie die Hände über der Decke zum Nachtgebet falten mußten. Auch das da unten machte angeblich dumm. Es macht aber nicht dumm, es ist geil, und seit der Computer der kleinen Jungs Anschluß ans Internet hat, ist es noch geiler. Reden wir in deutsch darüber, dafür ist die Newsgroup „de.talk .sex“ eingerichtet worden.
Nach tausend Calvin-Klein-Plakaten und der zehnten Neuauflage verhängnisvoller Leidenschaften im Kino sind die Diskussionen, die hier geführt werden, die reinste Erholung. Sie sind überhaupt nicht schwül, sondern sachlich ein bißchen tolpatschig, oft ganz schrecklich banal, aber wunderbar entspannt. Selbstverständlich geht es immer wieder darum, wie lang er ist, genauer darum, ob es wichtig ist, wie lang er ist, bis einer auch mal dazwischenfragt, warum hier eigentlich keine genauen Zahlen genannt werden. Dann werden die Zahlen genannt, und schon ist ein Problem gelöst – bis zum nächsten Mal.
Es gibt ja nichts wirklich Neues zu berichten auf diesem uralten Gebiet. Herz und Schmerz sind daher eher verpönt, wichtiger sind praktische Fragen, zum Beispiel, ob es Spaß macht, ohne Unterhosen auszugehen. „Exhibitionismus für Arme“ sei das. Jedenfalls juckt es in den Jeans, und Männer meinen, daß es viele Frauen gern tun, sogar wenn sie Röcke tragen, dann aber ein Problem mit plötzlichen Windstößen haben.
Aber auch die Frauen selbst reden mit, sie halten dieser Newsgroup sogar beharrlich die Treue, obwohl sie hier (wie überall im Internet) in der Minderheit sind. Hier können sie vor sexuellen Verbalbelästigungen sicher sein, was möglicherweise auf den Einfluß der paar Sadomasochisten zurückzuführen ist, die sich ebenfalls regelmäßig zu Wort melden. Sie verstehen sich als Fachleute der Schmerzen und legen deshalb großen Wert auf Höflichkeit. Vom Generator für elektrische Stromstöße, der ausführlich vorgestellt wird, sollten Laien wohl wirklich die Finger lassen.
Jungs mit Computer sind sie alle doch geblieben. Mehrmals driftet die Diskussion ab auf Fachsimpeleien aus den Zeiten, als alles anfing mit dem C64 und dem Amiga800. Für den Themenwechsel wird niemand gerügt, er liegt auf der Hand: Es war einfach unglaublich geil, mit diesen Maschinen zu spielen.niklaus@taz.de
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