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Induráins Lehrling muckt auf

Mit Frankreichs Meister Stephane Heulot übernahm bei der Tour de France ein Fahrer das gelbe Trikot, der den Favoriten Ärger machen kann  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Im Prinzip verlief die 4. Etappe der Tour de France von Soissons nach Lac de Madine kaum anders als ihre drei Vorläufer. Ein relativ gemütliches Tempo – im Durchschnitt weniger als 40km/h – kaum Aktivität im Feld und wieder dieser scheußliche Wind, der den Fahrern Tag für Tag zu schaffen macht. Anders als zuvor gelang es den Mannschaften der Sprintspezialisten auf den 232 Kilometern jedoch nicht, das Feld vollständig zusammenzuhalten und ihre Topleute dann in die ideale Position für den Spurt zu lancieren.

Schon bei Kilometer 38 setzten sich fünf Fahrer ab und wurden auch dann noch nicht ernst genommen, als sie über sechs Minuten Vorsprung herausgefahren hatten. Erst als der Rückstand des Pelotons fast 18 Minuten betrug, wurden die Favoriten auf den Gesamtsieg bei der Tour langsam nervös. Schließlich befand sich unter den Geflüchteten auch der Franzose Stephane Heulot, der zehn Tage zuvor französischer Meister geworden war, sich auch in den Bergen zu behaupten weiß und besonders für Miguel Induráin keineswegs ein Unbekannter ist. Zwei Jahre hat Heulot im Banesto- Team des Spaniers zugebracht, bevor er diese Saison zur GAN- Mannschaft wechselte.

Glücklich war der 24jährige im Schatten Induráins nicht geworden. Er wurde nur wenig eingesetzt und bei der Tour des letzten Jahres zu seinem Entsetzen gar nicht erst mitgenommen. Damals erwog er sogar, mit dem Radsport aufzuhören und statt dessen Wein anzubauen. „Ich war demoralisiert“, sagt er heute über diese Zeit. Dann kam der Anruf von GAN-Chef Legay, der ihn nicht nur mit zur Tour nahm, sondern auch den Weg zum gelben Trikot ebnete. Dies trug bis zur 4. Etappe immerhin Heulots Teamkollege Frédéric Moncassin, dem vom Teamchef jedoch weniger Chancen eingeräumt wurden, sich in den Bergen zu behaupten. Also bekam Heulot die Genehmigung zum Angriff, die er entschlossen nutzte. Am Ende war er sogar Banesto dankbar: „Vielleicht hatten sie recht; wenn sie mich letztes Jahr zur Tour mitgenommen hätten, wäre ich durch die Arbeit für Induráin völlig ausgebrannt.“ Zufrieden war auch Roger Legay: „Heulot war von Anfang an bei uns ein Mann für das Endklassement, die vier Minuten, die er heute genommen hat, sind schon eine interessante Sache.“

Auf viereinhalb Minuten hatte das von Induráin befehligte Feld den Rückstand am Ende verkürzt und damit die größte Gefahr gebannt, auch wenn nicht auszuschließen ist, daß sich Heulot zu einer der Überraschungen der Tour entwickelt und seinen Vorsprung in den Alpen, vor allem beim Bergzeitfahren am Sonntag, nicht ohne weiteres hergibt. Den Etappensieg in Lac de Madine holte sich der Franzose Cyril Saugrain vom kleinen Aubervilliers-Team, das nur dank einer Wildcard an der Rundfahrt teilnehmen darf. Beim Spurt des Hauptfeldes kam es zu einer brenzligen Situation, als der Tscheche Jan Svorada einen Sturz mehrerer Fahrer verursachte. Prominentester Aussteiger vor der fünften Etappe war der italienische Sprintspezialist Mario Cipollini, der – angeblich wegen einer Magenverstimmung – aufgab. Wahrscheinlicher ist, daß er sich in Ruhe auf Atlanta vorbereiten will, wo der 29jährige zu gern das olympische Straßenrennen gewinnen möchte. Außerdem wird das Terrain der Tour langsam hügeliger, die ersten Berge stehen auf dem Programm, und für Sprinter wie Cipollini wird es zunehmend schwerer, ihre Vorderräder als erste über die Ziellinie zu bringen.

Damit hat vermutlich auch die Trödelei und mangelnde Aktivität ein Ende, die bislang das Bild der 83. Tour de France bestimmte und von Claudio Chiappucci so begründet wurde: „Zu viel Gegenwind, Angst vor Stürzen und die Arbeit der Mannschaften mit Sprintern.“ Dem Schweizer Mitfavoriten Tony Rominger, der schon auf der ersten Etappe nach einer Unachtsamkeit neun Sekunden verloren hatte, war das kräfteschonende Tempo keineswegs unlieb, allerdings glaubt er, daß es Leute gibt, denen die Bummelei noch erheblich mehr Freude bereitet: die Sponsoren. „Man sieht uns besser, man kann unsere Trikots unterscheiden, und wir sind länger im Fernsehen.“

Voll im Griff hat die Sache bislang Miguel Induráin, der allerdings mit Miranda und Jiménez schon zwei seiner Helfer verlor. Vielleicht wird der große Favorit in gar nicht ferner Zeit wünschen, daß Stephane Heulot noch in seiner Mannschaft wäre.

Gesamtwertung: 1. Heulot 22:53:55 Stunden; 2. Piccoli 22 Sekunden zurück; 3. Saugrain 34; 4. Jaermann gleiche Zeit; 5. Nelissen 1:35 Minuten; 6. Frédéric Moncassin (Frankreich) 3:54; 7. Alex Zülle (Schweiz) 4:05; 8. Jewgeni Berzin (Rußland) 4:08; 9. Abraham Olano (Spanien) 4:12; 10. Bjarne Riis (Dänemark) 4:16, 11. Miguel Induráin (Spanien) 4:17, 12. Laurent Jalabert (Frankreich) 4:20

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