: Mit verbundener Zunge
■ Heute Festival des Radioprojekts „Freies Sender Kombinat“. Die polemische Zwischenbilanz eines treuen „FSK“-Hörers
97 Tage sind zwar kein besonders rundes Jubiläum. Dennoch bietet das FSK-Festival, das heute, genau 97 Tage nach Teil-Frequenzübernahme, in der Markthalle stattfindet, einen ersten Anlaß zu einer Zwischenbilanz des jungen Senders auf 89,1 Mhz.
Nach den wahnsinnigen und wahnsinnig übermüdeten Stunden beim FSK-Wochenende und den illustren Gästen, die man in der Vorlaufzeit auf den Äther geholt hatte, stellt sich langsam Routine ein. Der Novelty-Bonus der Amateur-Funker ist hin. Wer jetzt FSK eingestellt hat, bleibt wohl treuer Hörer. Doch was von dort zu vernehmen ist, könnte unterschiedlicher nicht sein – in Anspruch und Umsetzung. Die Musiksendungen – darüber ist man sich einig – zerren Genres in die Öffentlichkeit, die bis dato nicht gekannt worden waren. So bekommen auf FSK Death Metal, Klezmer und Hawaii ebenso Airplay wie Female Dub, Punk und unsere liebsten Jugendscheiben. Allein, vielen der unentgeltlich arbeitenden Moderatoren scheint es zu genügen, einfach die explizitere, geschmackvollere oder Was-auch-immer-Musik zu spielen. Darüber rutschen sie allzu willfährig in altbekannte Radioformate, samt lässiger Anmoderation und In-Group-Geschnatter.
FSK ist aber auch angetreten, um das Radio als Medium umzurüsten. Manchmal scheint ein wenig davon auf, wenn etwa in dem bildlosen Medium über Bleistiftzeichnungen fabuliert wird; oder wenn ein japanischer Fachmann für Calypso immer gerade dann auf dem Klo sitzt, wenn seine Expertisen anstehen. Das sind die Momente, in denen man weiß, weshalb man den Mitgliedsbeitrag für das werbefreie Radioprojekt berappt.
Doch vielfach geht die knapp bemessene Sendezeit im Geplauder der Bekenntnisse auf. Statt Fachfrauen zu Wort kommen zu lassen, sitzt man maulfaul ums Mikro, um sich gegenseitig den Frust über das Frauenbild der Medien zu bestätigen. Statt Streitkultur wird Allzu-Privates nach außen gekehrt. Unverhohlen realsatirisch geht es bei den fremdsprachig geführten Diskussionen mit anderen freien Radios zu. „Zät ze piebl kän fiel zä schtruktscher“, heißt es dann gänzlich sinnentleert in Pennäler-Englisch mit verbundener Zunge.
Schwer verdaulich ist ferner manches, was die Info-Redaktion zu Programmbeginn ausstößt. Anstatt aus den Vierteln zu berichten, in denen man sich auskennt, werden Briefe aus fernen Ländern wie weltpolitische Ereignisse verlesen. Statt einer versierten Medienkritik nachzugehen, wird mit erhobenem Zeigefinger nach PC-Verletzungen gefahndet. Und schließlich: Statt fundierter linker Analyse strotzen die Beiträge von breiigen Wortkolossen wie „Repressionen der herrschenden Kaste“. Als ob sich Macht nicht auch gegen sich selbst wenden könnte, um komplizierte Wege zu nehmen – ein Hauch von linkem Spießertum, der auch an dieser Zeitung nicht vorbeiweht.
Dennoch: Wenn es denn Radio sein soll, bleibt FSK die einzige Alternative. Weiter so!
Volker Marquardt
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