: Von der Notunterkunft zur Sommerresidenz
■ Die Kleingärtner von heute widmen sich der akkuraten Pflege ihrer Parzellen
„Die Blumen sind das Schönste hier“, schwärmt die achtjährige Linda. „Und dann gibt es noch die Tischtennisplatte, und buddeln tun wir auch sehr viel.“ Man könne hier „prima“ Volleyball und Tennis spielen, ergänzt die zwölfjährige Melanie. Außer der Eisdiele in der Nachbarkolonie ist den Schreberkindern die große Wiese inmitten der Kleingartenanlage der liebste Platz. „Wir sind ganz froh, wenn unsere Eltern im Garten liegen und wir hier spielen können“, genießen die Mädchen den Bewegungsfreiraum in der Anlage.
Die Kolonie Bergfrieden in Tempelhof ist nur eine von achthundert Schrebergärten in Berlin. Bis zu 100.000 Pflanzenfreunde widmen sich der kleingärtnerischen Nutzung ihrer Parzellen. Hinter den akkurat geschnittenen Hecken glänzen die wohlgepflegten Schmuckstücke. Sattgrüne Rasenflächen, wie sie sich der Platzwart in Wimbledon erträumt. Abgezirkelte Beete, blühende Rosensträucher. Selbst in dem üppig wuchernden Garten von Elfie Thaens, der im letzten Jahr vom Landesverband der Berliner Kleingärtner für seine ökologischen Qualitäten ausgezeichnet wurde, läßt sich eine wohlüberlegte Gestalt erkennen. „Mir gefällt der ja nicht“, meint Kleingärtner Günther Petrick. Er hat es auf seiner Scholle lieber noch gepflegter. Doch auch die Gartenzwerghorden in den Nachbargärten sind nicht nach seinem Geschmack. Er selbst hat nur einen einzigen. Der war ein Geschenk und steht nun gut versteckt im Gebüsch. „Zwerge? Das war früher“, meint Petrick.
Überhaupt habe sich viel geändert, seit er mit seiner Frau 1958 in die Gartenkolonie zog. „Da hat die Bauaufsicht noch beide Augen und ihre Hühneraugen zugedrückt, damit man hier als Notunterkunft nach dem Krieg auch wohnen konnte“, erinnert sich Petrick. Drei Jahre später zogen die Petricks dann aber in eine Stadtwohnung. Mit dem Kind war die Laube zu klein geworden, und offiziell habe man ja schon damals nicht im Garten gewohnt. „Wer Gott vertraut und Bretter klaut, der hat 'ne billige Laube, hieß es damals“, erzählt Petrick. „Und heute sind alle Lauben aus Stein“, lacht seine Frau. „Die Ansprüche sind gewachsen“, wirft Gartennachbarin Ingrid Behnisch ein. „Am Anfang hatten wir nur so ein Herzchenhäuschen, später gab es dann ein Torfklo, richtig mit Deckel.“ Und wo früher der Gartenschlauch gereicht hat, muß es heute schon eine richtige Dusche sein.
Durch die Laubentür glänzt Petricks Einbauküche. Das Ehepaar verlebt den ganzen Sommer im gut ausgestatteten Garten. Nur alle zwei Tage verlassen die Petricks ihren Sommersitz. „Zum Duschen oder Baden.“ Auch die Behnischs würden gerne ein bißchen anbauen und die Stadtwohnung aufgeben. Aber ihre Laube unterliegt den strengen Bestimmungen des Bundeskleingartengesetzes. Größer als vierundzwanzig Quadratmeter darf keine Hütte sein, es sei denn, sie genießt Bestandsschutz wie Petricks Laube.
So bleibt der Garten nur Erholungsfläche. „Als wir anfingen, haben wir Petersilie angepflanzt und uns gefreut, wenn wir pro Bund einen Groschen vom Gemüsehändler bekamen. Am Jahresende waren so 50 Mark im Topf, und wir konnten was Neues kaufen.“ Ingrid Behnisch erinnert sich ohne Sentimentalitäten an die Zeiten, „wo es noch knapp war“. „Heute haben wir eine schöne Rasenfläche“, freut sie sich. Nur ein paar Tomaten für den Eigenbedarf wachsen noch in ihrem Garten. „Das Obst kann man hier ruhig stehenlassen“, meint ihr Mann Herbert. „Wenn's nicht geschält oder eingekocht ist, nimmt das heute keiner mehr mit.“
Ein Leben ohne Gartenscholle mag sich keiner der Kolonisten vorstellen. „Alles, was hier wächst, ist durch meine Hände gegangen.“ Günther Petrick blickt zufrieden auf seine grüne Oase. Wenn Herbert Behnisch aus dem Urlaub wiederkommt, hat er oft das Gefühl, „daß es hier viel schöner ist“. Gereon Asmuth
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