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Natanjahu sägt am Sozialstaat Israel

Bevor der neue Ministerpräsident zum Antrittsbesuch nach Washington abfliegt, streicht er noch schnell den Staatshaushalt zusammen. Rechtsaußen Scharon wird „Superminister“  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Israels neuer Regierungschef Benjamin Netanjahu mußte den Abflug zu seinem Antrittsbesuch in Washington um zwei Stunden verschieben. Zuvor hatte sein Kabinett gestern noch dringende innenpolitische Entscheidungen zu fällen: Die Ernennung des Rechtsaußenpolitikers Ariel Scharon zum „Superminister“ für nationale Infrastruktur und die Verabschiedung eines Sparpakets.

Mit seinem Aufstieg zum Minister hat sich Scharon nach einem dreiwöchigem Machtkampf durchgesetzt. Vor allem Außenminister David Levy hatte sich auf Scharons Seite gestellt und mit seinem Rücktritt gedroht, falls dieser nicht Minister werde.

Laut israelischen Fernsehberichten wird Scharon in der Koalitionsregierung für Straßenbau, Eisenbahnen, Öl, Energie und Wasser zuständig sein. Zu seinen Aufgaben gehöre auch die Entwicklung des nördlichen Galiläa und des südlichen Negev sowie die Umgehungsstraßen für die jüdischen Siedler im Westjordanland. Vor allem der stellvertretende Bauminister Meir Porusch von der religiösen Thora-Partei mußte dafür Kompetenzen abgeben.

Das Kabinett stimmte auch dem von Netanjahu vorgeschlagenen Sparpaket zu, mit dem der Haushalt von 170 Milliarden Schekel (rund 80 Milliarden Mark) um 4,9 Milliarden Schekel (2,25 Milliarden Mark) gekürzt werden soll. Geplant sind Einsparungen bei der Armee, der Polizei, bei der Erziehung und Ausbildung und im Bausektor. Außerdem sollen Familienhilfen beschnitten, Gesundheitsdienst und öffentlicher Nahverkehr teurer und Staatsangestellte entlassen werden.

Mehr als die Hälfte der Kürzungen betreffen staatliche Pensionszahlungen und Auslagen für Gesundheit und das Erziehungswesen. Es handelt sich fast durchweg um Schläge, die gerade die mittellosen und mittleren Schichten der Bevölkerung treffen, darunter viele Wähler der Koalitionsparteien. Der ehemalige Minister für Umweltschutz und derzeitige Fraktionsvorsitzende des Linksbündnisses Meretz, Jossi Sarid, bemerkte zu den Regierungsbeschlüssen: „Die Wahlparole ,Netanjahu ist gut für die Juden‘ war richtig. Vorausgesetzt, damit waren reiche Juden gemeint.“

Laut Netanjahu handelt es sich bei den Kürzungen nur um erste Schritte eines „großen Programms zur vollen Liberalisierung und Privatisierung der israelischen Marktwirtschaft“. Die Einzelheiten eines solchen Wirtschaftsplans für Israel wurden bereits vor mehr als zehn Jahren im US-Außenministerium ausgearbeitet. Verschiedene israelische Regierungen haben zur Verwirklichung dieses Programms zum Abbau des Sozialstaats und zur Amerikanisierung der israelischen Wirtschaft beigetragen. Netanjahu beabsichtigt, dieses Werk zu vollenden.

„Ich fahre mit der Botschaft an die Geschäftsleute der Wall Street: Kommt und investiert in die gesundende israelische Marktwirtschaft“, erklärt er am Tag vor seiner Abreise nach Washington. Was Netanjahu nicht sagte war, daß Israel bereits mit über drei Milliarden US-Dollar jährlich die meisten US-amerikanischen Hilfsgelder erhält.

Für die derzeit angeblich „kranke Wirtschaft“ Israels machte Netanjahu die frühere Regierung der Arbeitspartei verantwortlich. Die Schuld für die von seiner Regierung beschlossenen Kürzungen und Verteuerungen vieler Sozialleistungen wälzt er auf seine Amtsvorgänger ab.

Während die Arbeitgeber die Maßnahmen der neuen Regierung begrüßen, sagte die Führung des Gewerkschaftsverbandes Histadrut dem neuen Wirtschaftsprogramm den Kampf an: die Arbeitnehmer würden mit einer Serie von Streiks reagieren.

Unter den ersten Protestierenden in Jerusalem sah man vor allem Frauen von Offizieren der Berufsarmee. Die Pensionsgelder ihrer Männer sollen ebenfalls gekürzt werden. Aber den einflußreichen Vertretern der Armee gelang es, den Regierungschef zu überreden, auf fast zwei Drittel der geplanten Kürzungen der Sicherheitsausgaben zu verzichten.

Von den bereits bewilligten Teuerungen sind vor allem der öffentliche Transport und die Wassergebühren betroffen. Ab dem 1. August sollen die Preise dafür um ungefähr 15 Prozent steigen. Ähnliches gilt für Medikamente.

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