Ein Schatz ohne Hüter

■ Heute 2. Folge: Yvonne Fietz (AG Stadtteilkultur) zum Ende der „Kultur für alle“

Hamburg will drastisch sparen, aber es soll niemand merken. Gerade im Kulturbereich werden jährlich Millionen gestrichen, aber das Angebot darf nicht schlechter werden. Spätestens seit dem Sparhaushalt 1997 – dem weitere folgen werden – ist dieser Spagat nicht mehr durchzustehen. In loser Folge beschreiben deswegen Verantwortliche aus der Hamburger Kultur – von der Oper bis zur Soziokultur – was weitere Sparmaßnahmen in der Praxis zerstören.

Stadtteilkultur ist eine vergleichsweise junge Kultursparte. Im Gegensatz zu den Theatern und Museen, die auf eine Jahrhunderte lange kulturgeschichtliche Tradition zurückblicken können, erschien die stadtteilbezogene Kulturarbeit erst mit den gesellschaftlichen Umwälzungen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre auf der Bildfläche. „Kultur für alle“ hieß es damals provokativ, begleitet von einer völligen Neubewertung des Kulturbegriffs.

In der Zwischenzeit haben sich viele damals entwickelte Ansätze und Konzepte selbst in den etablierten Kultursparten durchsetzen können, doch ihren Ursprung hätten sie dort nie nehmen können.

Seit 1979 wird Stadtteilkultur in Hamburg durch die Kulturbehörde öffentlich gefördert. Allerdings ist es den Stadtteilzentren trotz insgesamt wachsender Zuschüsse nie gelungen, eine Gleichberechtigung gegenüber den traditionellen Kultursparten zu erstreiten. Berücksichtigt die Finanzplanung für Theater und Museen selbstverständlich Tarif- und Preissteigerungen, werden bei der Stadtteilkultur die Zuschüsse eher willkürlich – bzw. je nach kulturpolitischer Lage – erhöht oder gekürzt.

Dies macht sich besonders in Zeiten knapper Kassen bemerkbar. Bei der Stadtteilkultur wird nur „implizit gespart“ (Christina Weiss in der Mopo), obwohl vom Stadtteilkulturetat seit 1994 rund 1,6 Millionen Mark bei einem Etat von 8,795 Millionen Mark eingespart wurden – das Schauspielhaus sparte seit 1994 3,38 Millionen Mark bei einem aktuellen Etat von 37,5 Millionen Mark ein.

In ihrer Erklärung zum Haushaltsentwurf 1997 hob die Kultursenatorin hervor, daß in der Stadtteilkultur mit wenig Mitteln eine sehr effektive Kulturarbeit vor Ort geleistet werde, die für BürgerInnen vor allem in sozial schwachen Gegenden unverzichtbar sei. Anschließend führt sie aus, daß die Mittel für Stadtteilkultur in den Konsolidierungsprogrammen kaum reduziert worden seien...

Effektiv ist die soziokulturelle Arbeit vor allem deshalb, weil sich die hauptamtlich bezahlten Kräfte durch ehrenamtliche nochmals verdoppeln und die Stadtteilkultur schon seit Anbeginn mit wenig Mitteln viel auf die Beine gestellt hat. Die derzeitige Hamburger Sparpolitik führt in fast allen Kulturzentren zu Stellenreduzierungen oder gar -streichungen, was durch ehrenamtliche Kräfte natürlich nicht ausgeglichen werden kann. Darunter leidet die Qualität, aber auch die Quantität der Arbeit. Das heißt jedoch auch, daß seit 1994 nicht etwa der „Speckgürtel“ gekürzt wurde, sondern es von Anfang an um die stadtteilkulturelle Substanz ging.

Auf einem ganz anderen Blatt steht, was die weiteren Konsolidierungen in den folgenden Jahren im Zusammenhang mit der lange geplanten und noch immer nicht vollzogenen Bezirksverwaltungsreform für die Stadtteilkultur bedeuten könnten. Als einzige Kultursparte, bei der eine bezirklich dezentralisierte Verwaltung überhaupt Sinn machen könnte, nimmt auch die stadtteilbezogene Kulturarbeit eine Sonderstellung ein. Denn durch eine Verlagerung in die Bezirke verlöre die Stadtteilkultur ihre Fachabteilung in der Kulturbehörde. Was dies wiederum für Folgen haben könnte, zeigte im vergangenen Jahr schon der Bezirk Wandsbek auf eindrucksvolle Weise.

Dort knöpfte man drei Stadtteilzentren (Sasel-Haus, Bürgerhaus Meiendorf und Begegnungsstätte Bergstedt) insgesamt 50.000 Mark ab, um die Finanzen des „Bürgerhaus Wandsbek“ zu bereinigen. Der Skandal dieser – vom Haushaltsausschuß der Bürgerschaft besiegelten – Verschiebe-Aktion besteht darin, daß das Bürgerhaus Wandsbek keines von den 26 geförderten Kulturzentren der Kulturbehörde ist, dementsprechend also noch nicht einmal die soziokulturellen Förderkriterien erfüllt. Aber die 50.000 Mark sind futsch!

Kulturpolitisch kann man an der Tatsache, daß Bürgerschaft und Senat dieser Umschichtung von Stadtteilkulturmitteln zugestimmt haben, nur eine katastrophale Perspektive ablesen: Ist erst die Bezirksverwaltungsreform vollzogen und die Zuständigkeit für Stadtteilkultur in die Bezirke verlagert, werden Kulturzentren und -projekte vollends der parteipolitischen Willkür ausgeliefert sein – eine fast 20 Jahre aufgebaute Kultursparte fällt kommunalpolitischen Eitelkeiten zum Opfer und die Fachbehörde kann nur hilflos zuschauen.

Im Bezug zum Gesamtfördervolumen hat die Stadtteilkultur schon immer einen sehr hohen Anteil an Projektmitteln gehabt, der für die spezifischen Bedarfe dieser Art von Kulturarbeit auch unbedingt notwendig ist. Gerade diese sogenannten „ungebundenen“ Mittel ermöglichen eine flexible, auf aktuelle Begebenheiten eingestellte Soziokulturarbeit. Allerdings eignen sich diese Projektmittel leider auch zum Kürzen der Zuwendungen, da es keine (arbeits-)rechtliche oder anderweitige Bindung gibt.

Dies läßt sich unschwer am derzeitigen Stand der stadtteilkulturellen Projektmittel ablesen. So wenig gab es zuletzt vor zehn Jahren – Preissteigerungen nicht mit eingerechnet. Das hat natürlich gravierende Folgen. Institutionell geförderte Kulturzentren erhalten beispielsweise im Bezirk Altona nur noch 50 Prozent der beantragten Summe. In diesem Jahr kam schon im Frühjahr eine Haushaltssperre zum Tragen, die eine weitere Förderung von Projekten komplett ausschloß. Da Einrichtungen wie Motte, Haus Drei und GWA St. Pauli-Süd schon durch die „impliziten“ Sparaktionen der Kulturbehörde finanziell in die Knie gehen, können tatsächlich nur 50 Prozent der beantragten Veranstaltungen und Projekte durchgeführt werden.

Hinzu kommt, daß die bezirklichen Sondermittel jedes Jahr gefährlich gegen Null tendieren. Und da auch im Haushalt der Kulturbehörde keine Gelder mehr für Bauvorhaben oder Ausstattung existieren, müssen die Stadtteilzentren eben sehen, wo sie das Geld für dringend notwendige Reparaturen oder Anschaffungen hernehmen.

Hamburg hat in den folgenden Jahren im Bereich Stadtteilkultur viel zu verlieren. Denn in keiner anderen deutschen Stadt existiert eine derart vielfältige, hoch entwickelte und untereinander vernetzte Stadtteilkulturszene. Doch dieser Schatz braucht Schutzräume, damit gesichert ist, daß sich Menschen weiterhin dafür einsetzen, daß ihr Stadtteil l(i)ebenswerter wird und daß neue (sozio-)kulturelle Ausdrucks- und Vermittlungsformen entwickelt werden.