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Die kesseste Tragödie von allen Von Susanne Fischer

Ich bin natürlich immer die erste, wenn es darum geht, irgend etwas ambivalent zu sehen. Nein, man darf nicht einfach jemanden ein Arschloch nennen, ohne gleichzeitig daran zu erinnern, daß er einem vor siebzehn Jahren einmal über die Straße geholfen hat, obwohl man gar nicht rüber wollte. So sehe ich das nämlich. Oder nicht?

Na ja, eigentlich weiß ich nicht so recht. Man kann Ambivalenz auch übertreiben. Wenn z.B. ein und derselbe Fernsehfilm mit einer Abbildung ein und derselben Einstellung in einer Boulevardzeitung als „kesse Komödie“ angepriesen wird, in der zum selben Verlag gehörigen Fernsehzeitschrift dagegen zur Riesentragödie aufgeblasen wird; ja, man warnt nahezu die Depressiven unter uns Spätfilmguckern vor genau diesem Film – dann scheint mir meine eigene Wischiwaschi-Lebenseinstellung noch haushoch übertroffen bzw. pazifiktief versenkt worden zu sein.

Selbstverständlich habe ich mir den Film dann angesehen, weil ich ihn auf keinen Fall verpassen wollte, obwohl ich andererseits nicht sicher war, ob ich ausgerechnet diesen Film unbedingt sehen müsse. Mit Ausnahme des Wörtchens „kess“, das absolut verboten gehört (es mag natürlich Ausnahmen geben), hatten übrigens beide Redaktionen recht. Einerseits war der Film komisch, andererseits traurig, denn es ging um die Adoleszenz. Vielleicht auch ums Altern, auf jeden Fall um Frauen. Andererseits allerdings um Männer. Möglicherweise war es einer der bedeutendsten Filme der Welt und aller Zeiten über Frittenbudenfräuleins und Filmvorführer. Vielleicht aber auch doch nicht. Auf jeden Fall war es ein englischer Film! Ich sollte Kritikerin werden.

Wer jetzt zu diesem Film sagen möchte, es handele sich wieder um eine der seltenen und herausstellungswürdigen Gelegenheiten, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibe, dem stopfe ich sein unqualifiziertes Pseudolachen auf der Stelle höchstselbst in den Rachen zurück und haue ihm links (oder rechts?) eine herunter. Vorher sage ich noch „Alter Gemeinplatzverbreiter!“ zu ihm, weil es das Gemeinste ist, das mein ambivalentes Hirn hervorzubringen in der Lage ist. Die meiste Energie muß es schließlich auf das Ausbrüten neuer Unentschiedenheiten verwenden.

Wenn ich nicht ambivalent bin, bin ich trullerant. Das bedeutet, daß alle machen dürfen, was sie wollen, außer mir eine herunterhauen. Ich würde dann nämlich auch noch die andere Wange hinhalten müssen, nachdem ich mir überhaupt erst überlegen müßte, auf welche Seite ich zuerst geschlagen werden möchte. Das wäre sehr lästig, und dann wäre die gemütliche Trulleranz ganz umsonst gewesen. Da bin ich doch ein bißchen eigen. Falls meine Trulleranz allzu sehr auf die Probe gestellt wird, verliere ich allerdings auch schon mal die Kontenanxe, wie wir Norddeutschen sagen.

Neulich sagte zum Beispiel mein Hausarzt zu mir: „Entweder Sie haben einen Kreislaufkollaps, oder Sie sind schon tot.“ Er hätte sich ruhig entscheiden dürfen. „Wenn ich tot bin, sind Sie's schon lange!“ brüllte ich, „oder etwa nicht?“

Und beim Grübeln über diese Frage versanken wir zusammen in einen Anfall depressiver Schwerambivalenz.

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