: Nach dem Krieg kam die stille Revolution
■ Kunst der frühen Jahre der Bundesrepublik in der Kunsthalle Recklinghausen
Der Westen liegt zwischen 1945 und 1960. In diesen Jahren ereignete sich in der Bundesrepublik eine Kulturrevolution. Sie wurde bislang nur deshalb nicht als eine solche verstanden, weil sich mit dem Begriff der Revolution eine Vorstellung von dem Umsturz der Verhältnisse mit der Zukunftshoffnung auf Fortschritt und Freiheit verbindet. In der jungen Bundesrepublik gab es aber das eine ohne das andere.
Während im gesellschaftlichen Gefüge behutsame Modifizierungen genügten, um den Nazimoder mit echt Kölnischwasser zu verdrängen, begann nach Kriegsende umgehend die gründliche, wenn auch langwierige Sanierung der Kultur. Im Chaos der zerstörten Städte entwickelte sich eine Kunstszene, die zunächst von Künstlern bestimmt wurde, die bereits in den zwanziger Jahren ausgestellt hatten. Willi Baumeister, Ewald Mataré und Gerhard Marcks gehörten zu den ersten neuberufenen Akademieprofessoren. An ihnen und an verstorbenen (Kandinsky, Klee) oder emigrierten (Hans Hartung) Künstlern orientierte sich die junge Künstlergeneration, aber auch an der internationalen, insbesondere der Pariser Avantgarde.
Dem bis ins Doktrinäre gesteigerten Diktum von der „Abstraktion als Weltsprache“ verdankt sich die Homogenität der Schau mit dem anspruchsvoll umfassenden Titel „Kunst des Westens – Deutsche Kunst 1945–1960“. Insgesamt bietet die Ausstellung mit 180 Werken von 57 Künstlern und einer Künstlerin eine qualitativ angemessene Übersicht jener Jahre, wie sie durch Museumsbesuche nicht zu gewinnen ist, da mit wenigen Ausnahmen (Saarland Museum Saarbrücken, Rheinisches Landesmuseum Bonn) größere Ensembles nirgends gezeigt werden. Informelle Bilder bilden das Schwergewicht. Unterbrochen wird diese einheitliche Linie von abweichenden Positionen: Werner Heldt etwa vertritt die sachliche Malerei der zwanziger Jahre. Arbeiten Emil Schumachers lassen seinen Weg in die radikale Abstraktion nachvollziehen. Aufschlußreich ist auch der Vergleich zweier „Schreibmaschinen“ Konrad Klaphecks. 1955 malt er das Gerät in präzisem Hyperrealismus; die 1959 entstandene Variante schlägt ins Surrealistische um – das kühl abstrahierte Gerät wird zum Symbol totalitärer Macht. Die figürliche Skulptur vertritt unter anderem Ewald Mataré, der wie kein anderer Künstler der Moderne das Wesen der Kuh so tief ergründete; er verleiht diesem Wesen durch rigorose plastische Abstraktion ästhetische Gültigkeit.
Kunst der fünfziger Jahre hat viele Spielarten. Im Recklinghauser Überblick und mit dem Abstand der Jahrzehnte betrachtet, verliert sich der Eindruck eines „hemmungslosen Subjektivismus“, den die Künstler und die Kunstkritik seinerzeit postulierten beziehungsweise attestierten. Viele Gemeinsamkeiten werden sichtbar: Die Verbindung graphischer Elemente mit flächiger Malerei sind etlichen Malern gemein (Siepmann, Ritschl, Trier, Winter) und lassen Bezüge zu Baumeister und Hartung erkennen. Andere orientieren sich an der konstruktivistischen Tradition der zwanziger Jahre (Fleischmann, Fruhtrunk).
In der Kunsthalle Recklinghausen ist die Kunst der späten vierziger und der fünfziger Jahre gut aufgehoben. Hier in der Stadt scheint die Zeit langsamer zu vergehen als anderswo, steckt der Zeitpfeil noch im Jahr 1965, ist die Atmosphäre dicht genug an der ausgestellten Kunst – vielleicht: zu dicht. Über den Eindruck, den die Ausstellung in einem anderen Ambiente erzielte – im Centre Pompidou oder in der Bundeskunsthalle etwa –, läßt sich nur spekulieren. In Recklinghausen aber, das steht fest, schmurgelt die Kunst der frühen Jahre im eigenen Saft und bestätigt sich als betagt und zeitgebunden. Es ist auch fraglich, ob eine solche Retrospektive den Ruhrfestspielen guttut. Wer den vertrauten Stallgeruch liebt, wird in der Kunsthalle tief durchatmen. Überraschungen und Irritationen sind vom Ausstellungsbesuch nicht zu erwarten. Die Kunst wirkt in dieser Präsentation nicht fremd genug, und das soll sie auch nicht.
Der DGB ist Veranstalter der Ruhrfestspiele. Nichts ist für die Gewerkschaften heute nötiger als ein nostalgischer Blick zurück ins Wirtschaftswunder, in ihr goldenes Zeitalter.
Bis 14. 7.; Katalog 48 DM
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