■ Nordirland: Straßenschlachten nach Unionisten-Parade: Die Angst vor Kompromissen
Das glaubt David Trimble selber nicht: Wenn der nordirische Unionisten-Chef behauptet, daß die Paraden der Orangeisten-Logen nichts weiter als ein Ausdruck protestantischer Kultur und so harmlos wie Pfadfindertreffen seien, nimmt ihm das niemand ab. Unstrittig ist allerdings, daß die Paraden Tradition haben – die Jahrhunderte alte Tradition, die katholische Bevölkerungsminderheit Nordirlands an ihren Status als Bürger zweiter Klasse zu erinnern. Es ist dieselbe Tradition, die Schwarze in den US-Südstaaten bis in die sechziger Jahre zwang, hinten im Bus Platz zu nehmen.
Doch die Bedingungen haben sich seitdem auch in Nordirland geändert. Auslöser war ausgerechnet eine orangeistische Parade. Damals, am 12. August 1969, wollten die Ordensbrüder an der katholischen Bogside in Derry vorbeimarschieren, aber die Bewohner wußten dies zum erstenmal zu verhindern: Die Straßenschlachten dauerten zwei Tage und zwei Nächte. Inzwischen haben die Katholiken gleiches Wahlrecht und größeres Selbstvertrauen, während den Protestanten ihre Privilegien immer mehr abhanden gekommen sind. In absehbarer Zeit werden sie in Nordirland eine Minderheit sein.
So sind ihre 2.500 Paraden im Jahr längst keine Triumphzüge mehr. Es ist die Angst vor weiteren Veränderungen, die sie so hartnäckig an der traditionellen Streckenführung ihrer Paraden festhalten läßt, auch wenn sich die Demographie nordirischer Städte aufgrund des Konflikts verändert hat. Die Protestanten fühlen sich belagert: Sie sind eine Mehrheit mit der Mentalität einer Minderheit. Drumcree ist zum Symbol geworden, wie so viele Orte und Daten in Nordirland. Die Protestanten fürchten, daß sie von Kompromissen überrollt werden, wenn sie in einer Prinzipienfrage wie Drumcree nachgeben. So sind sie froh, nebenbei den lästigen Friedensprozeß loszuwerden, der ihnen ja auch nur Kompromisse abverlangen würde. Früher war die protestantische Welt einfacher. Das Problem ist, daß die politischen Führer der Protestanten mit beiden Beinen fest in der Vergangenheit stehen. Solange es in ihrem Lager keine Figur wie de Klerk gibt, ist der Nordirlandkonflikt kaum zu lösen. Ralf Sotscheck
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