: Die Fährten der eigenen Vergangenheit
■ Emotionalität der Konturen: Westport mit McCoy Tyner und Me'Shell Ndegéocello
Auch in der zweiten Woche spannt das Programm des Westports wieder einen weiten Bogen: vom Jazz Trio bis zur Black Poetess. Am Donnerstag stellt der Pianist McCoy Tyner seine mit einem Grammy ausgezeichnete CD Infinity vor. Der 57jährige Tyner entstammt – wie der kürzlich in Hamburg gastierende Schlagzeuger Elvin Jones – dem legendären John Coltrane Quartet. Doch anders als sein Gefährte, den es an andere Gestade treibt, paddelt Tyner im Fahrwasser des Meisters oder, um es freundlicher auszudrücken, trägt dessen Erbe fort.
Das revitalisierte Impulse!-Label, auf dem Coltrane 1962-65 seine Sessions veröffentlichte, bringt auch Infinity heraus. Und mit „Impressions“ macht sich Tyner an eine 11minütige Neudefinition eines Coltrane-Klassikers, der allerdings unter seiner Ägide ein wenig versumpft. In die Fußstapfen von John Coltrane soll dabei Michael Brecker treten – ein Vorhaben, das eigentlich zum scheitern verurteilt ist. Doch Brecker zieht sich geschickt aus der Affäre, indem er nur eine Spur von Coltranes Emotionalität in sein Spiel integriert. Auch wenn die Verbeugungen vor Coltrane und der eigenen Vergangenheit zahlreich sind, gilt es zu bedenken, daß man wohl nur einmal im Leben ein gänzlich neues harmonisches System entwickelt.
Aus einem anderen Koordinatensystem stammt die Black Poetess Me'Shell Ndegéocello. Auf Madonnas Maverick-Label veröffentlichte sie ihr Debut, Plantation Lullabies, auf das sich 1993 alle an Black Music Interessierten einigen konnten. Die aktuelle CD, Peace Beyond Passion, lädt ihre Vorstellung von zeitgemäßer Black Music alttestamentarisch auf, nimmt allerdings etwas von den harten Konturen zurück, die sie auch als Bühnenpersönlichkeit zuletzt ausstellte. Neuerdings gleitet ihre Selbstdarstellung leider etwas in das Klischee-Bild der exotischen, schwarzen Nackten ab.
Unterstützt wird die ehemalige Studiomusikerin von einer HipHop-Bigband aus Philadelphia. Eigentlich ein Widerspruch im Land der digitalen Tonverarbeitung, gelingt es The Roots jedoch, schwarze Musikgeschichte per Handarbeit ausgelassen fortzuschreiben.
Volker Marquardt
McCoy Tyner Trio und Tarik Hus-seini Quotet : Do, 11. Juli, 20 Uhr / Me'Shell und The Roots: Fr, 12. Juli, 21 Uhr, jeweils Musikhalle
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