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Bedrohte Graffiti-Kunst: Polizei und chemische Industrie rüsten auf gegen autonome KünstlerInnen mit der Spraydose  ■ Von Knut Henkel

Hart waren die Zeiten für Freunde der jungen Kunst aus der Spraydose schon immer. Nun macht seit April die neue Ermittlungsgruppe Graffiti (EG 956) der Polizei Jagd auf die Sprayer und kann bereits auf eine stolze Strecke verweisen: Rund 200 „Schmierer“ wurden aufgespürt und 160 von ihnen überführt.

Schon Ersttäter müssen vor Gericht mit Arbeitsauflagen, Wiederholungstäter jedoch schon mit Haftstrafen bis zu zwei Jahren rechnen. Außerdem dürfen sie noch die Beseitigung ihrer Werke bezahlen, was sich Reinigungsfirmen gut vergüten lassen: Für 14 mit „tags“ versehene Hauswände mußte kürzlich ein 20 Jahre alter Arbeitsloser aus Hamburg rund 22.000 Mark auf den Tisch legen; die „tags“ kostengünstig selbst zu beseitigen, wurde ihm nicht erlaubt.

In Hamburg haben sich die Statt Partei und CDU-Fraktionsführer Ole von Beust in den vergangenen Monaten wieder besonders dafür stark gemacht, die Bürgerinnnen von der optischen Pein der „tags“, kleine gesprühte Schriftzüge, und „pieces“, großflächige Graffiti, zu befreien. Dramatischerweise haben mittlerweile für Ole von Beust „die Schmierereien ein unerträgliches Ausmaß erreicht“.

Die Chemie-Firma AISCO hält seit neuestem eine weitere Wunderwaffe bereit, die sich auch gegen die etwa 400 in Hamburg sprühenden Künstler richten läßt. Der „Graffiti-Killer“ soll der „Helfer für die schnelle, kostengünstige, aber auch ätzende Beseitigung von Schmierereien“ sein – einsprühen, wegwischen, fertig.

Werden also bald wieder saubere Fassaden im spärlichen Sonnenschein leuchten? Kann die Hamburger Fraktion der Saubermänner aufatmen? Tatsächlich soll ein weiteres Produkt aus dem Chemielabor den Sprayern die Lust nehmen, überhaupt noch auf die Düse zu drücken. Ein Imprägniermittel auf Wachsbasis soll künftig Hauswände, Bahnwaggons und alles Schützenswerte rundum versiegeln. Graffitis sollen von diesen Flächen mit heißem Wasser ruck zuck entfernt werden können.

Ein freundlicher Farbensachverständiger in Altona aber schmälert die Wunderwirkung des neuen Mittels: „Auch der Graffiti-Killer kann nur auf Beizebasis hergestellt worden sein und die holt naturgemäß die gesamte Farbe von der Hauswand runter...“ Genau das aber möchten die Saubermänner ja nun wieder nicht. Außerdem wiegelt der Fachmann ab: „Experimente mit Wachsversiegelung gab's ja nun auch schon vor Jahren, und gebracht hat's nichts.“

Gegen Graffitis an Hauswänden hilft seiner Meinung nach noch immer nur ein Rezept: ein neuer Anstrich.

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