Die Schwelle wird höher

■ ... aber die Tür steht noch einen Spalt offen: Bei den „Beutekunst“-Verhandlungen mit Rußland sieht Wolfgang Eichwede, Osteuropa-Experte der Bremer Uni, noch Hoffnung – trotz der verschärften russischen Gesetze

Seit über drei Jahren liegen 101 Bilder der Bremer Kunsthalle in der deutschen Botschaft in Moskau: Kunstwerke, die im Zweiten Weltkrieg von russischen Soldaten mitgenommen wurden. Ob diese „Beutekunst“ – wie die übrigen verschleppten Bücher und Bilder – jemals ausgeführt werden dürfen, wird zunehmend fraglich. In der vergangenen Woche erließ die Duma, das russische Parlament, ein neues und schärferes Gesetz zur Kunstrückführung. Demnach reklamiert Rußland grundsätzlich alle „Beutekunst“ als Staatseigentum, mit wenigen Ausnahmen. Wie die Chancen für die Bremer Bilder stehen, und wie die Verhandlungen überhaupt noch weitergehen können – das erläuterte Wolfgang Eichwede, Osteuropa-Experte der Bremer Uni, im Interview.

taz: Das Land Bremen hat den GUS-Staaten stets eine kooperative Lösung der sogenannten Beutekunst-Fragen angeboten: Im Falle der Rückgabe könnten die Russen mit Unterstützung rechnen, zum Beispiel beim Wiederaufbau von Museen und anderen beschädigten Kulturdenkmalen; außerdem waren Schenkungen einzelner Kunstwerke im Gespräch. Hat das noch Gültigkeit?

Eichwede: Die Vereinbarung war die: Die russische Seite leitet den Rückgabeprozeß für die Bremer Bilder ein; und die Bremer Seite schenkt im Gegenzug eine Reihe von Zeichnungen und organisiert gemeinsam mit der Stadt Nowgorod Restaurations- und Wiederaufbauarbeiten in dieser Stadt. Zum dritten war an eine gemeinsame Ausstellung gedacht, deren Erträge dann an die russische Seite gehen würden.

Was konnten Sie davon konkret umsetzen?

Von Anfang an war klar: Das ist ein Prozeß, der im Reißverschluß-Verfahren läuft. Aber um es konkret umzusetzen, fehlten bisher die nötigen Zusagen. Das war für Bonn, wo man eher auf dem Rechtsstandpunkt beharrte, natürlich leider immer ein Argument, um zu sagen: Seht ihr, die Bremer haben das angeboten und kommen auch nicht weiter.

Unterm Strich hat man in Bremen aber auf privaten Wegen eine ganze Menge erreicht. Es ist gelungen, ein halbes Dutzend Bilder aus GUS-Staaten in die Kunsthalle zurückzuholen.

Aber offiziell kamen aus Rußland bisher keine Bilder zurück. Der Durchbruch ist dort nicht gelungen. Die Russen haben uns in Bremen immer wieder gesagt: Für uns ist wichtig, daß auch Bonn auf eine solche Kooperationslinie eingeht. Aber das alles ist heute natürlich Schnee von gestern. Die russische Seite ist mit dem neuen Gesetzentwurf in der Gefahr, vom Denken in kooperativen Schienen in dieser Frage abzugehen. Letztlich ist mir das unverständlich: 51 Jahre nach dem Kriegsende in Kategorien zu denken, die vielleicht 1946, '47 oder '48 nachvollziehbar gewesen wären. Aber jetzt, nachdem wir einen Freundschaftsvertrag haben, ist das aus meiner Sicht nur schwer nachvollziehbar.

Fast alle Kulturgüter, die im Zweiten Weltkrieg nach Rußland gebracht wurden, gelten nun als russisches Eigentum. Gibt es trotzdem noch Hintertüren im Gesetz, zum Beispiel für die Rückführung von Bildern, die von einzelnen Soldaten ohne Befehl der sowjetischen Trophäenkommission verschleppt wurden? Das beträfe ja auch die 5000 Grafiken der Bremer Kunsthalle.

Für die privat mitgenommenen, also den Soldaten in die Hände gefallenen Kunstgüter – so, wie das mit den Bremern der Fall war – wird jetzt ein ganz umständliches Verfahren vorgeschlagen, ein Verfahren ohne Beispiel und ohne Vorbild. Angenommen, ein deutsches Museum will seine Bilder zurückhaben: Da muß ein Antrag gestellt werden, der von Regierung an Regierung weitergeleitet wird. Man muß für die Aufbewahrung während der letzten 51 Jahre aufkommen. Und dann muß die Rückgabe durch die russische Seite mit 20 Prozent des Marktwertes vergütet werden. Da es hier im allgemeinen um wertvolle Bilder geht, sind das dann ganz schöne Summen, die sich zusammenkleckern. Und schließlich bedarf es in jedem einzelnen Fall eines konkreten Beschlusses durch das russische Parlament, also der Zustimmung durch die Duma, bis es dann auch tatsächlich zur Übergabe kommt. Das ist ein sehr, sehr komplexes Verfahren. Da ist die Tür einen Spalt weit auf, aber gleichzeitig liegt die Türschwelle, um drüberzuspringen, außerordentlich hoch.

Fragen: Thomas Wolff

(Das vollständige Gespräch lesen Sie am Samstag in der überregionalen Ausgabe der „taz“)