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Auf Streife wenig anwendbar

Einzigartiges interkulturelles Projekt in Deutschland: Polizisten lernen in Seminaren Umgangsformen fremder Kulturen kennen  ■ Von Hajo Schiff

Das Versammlungshaus der Maori ist ein ungewöhnlicher Ort für eine Pressekonferenz von Innensenator und Polizei. Vor freundlich die Zunge herausstreckenden Masken berichteten gestern Hartmuth Wrocklage und Polizeischulenleiter Manfred Bienert zusammen mit Kultursenatorin Christina Weiss und dem Hausherrn Wulf Köpke, Direktor des Museums für Völkerkunde, über ein in Deutschland einzigartiges Projekt: Vorgestellt wurde die Seminarreihe „interkulturelle Kommunikation“ für die Hamburger Polizei.

Seit 1995 wurde in fünf Seminaren 100 PolizistInnen kommunikative Kompetenz gegenüber dem ausländischen Mitbürger und Wahrnehmung des Fremden nähergebracht. Neben Beamten aus den Wachen in St. Georg, St.Pauli, Wandsbek, Rahlstedt, Billstedt oder Wilhelmsburg machten auch Einsatz- und Bereitschaftspolizisten freiwillig mit. Trotz des immer wieder erhobenen Vorwurfs der Ausländerfeindlichkeit der Hamburger Polizei versteht sich die Maßnahme nicht als „Umerziehung“, sondern als Qualifizierung. Der Ausländeranteil sei von 1985 bis 1995 von 10 Prozent auf 15 Prozent gestiegen, berichtete der Innensenator, „und das bringt bei aller Bereicherung auch Probleme“.

Zwar gilt der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, in der Praxis bestehen aber unterschiedliche Wertesysteme nebeneinander. Auch lange hier akkulturierte Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf die Begegnung mit Polizisten: Öffentliche Berührungen werden in mancher Kultur als ehrenrührig empfunden, in anderen aber intensiv gesucht. Mal kann ein zu intensiver Blick zu Rachereaktionen führen, wenn der Grad zwischen Respekt und Aggression schmal ist und unterschiedlich verläuft. Das Verhalten als tiefsitzender Teil der eigenen Kultur ist nicht so leicht abzulegen.

Deshalb läßt Wulf Köpke, der sein Haus als „Völkerverständigungsmuseum“ versteht, Angehörige der jeweiligen Kulturgruppe in den Seminaren referieren. Auch Rollenspiele sollen den Beamten bei der Erkenntnis helfen, daß das vielbeschworene Normale eine sehr begrenzte Sache ist. Die Beschäftigung mit dem Fremden zeigt andere Wertesysteme, erweitert die Wahrnehmung und spiegelt die eigene Kultur. Daß Wahrheiten relativ sind, ist aber gerade für PolizistInnen, die in ihrem Beruf immer das Richtige tun sollen, eher irritierend.

Ein Seminarteilnehmer versicherte gestern, er habe viel gelernt. Im Rollenspiel sei seine Distanz, die er zu der Problematik hatte, aufgebrochen, auch habe er zum erstenmal außerdienstlich eine afrikanische Kneipe besucht. Im Seminar habe er zwar einen anderen Hintergrund gewonnen, der aber kaum etwas beim direkten Umgang im Streifendienst mit dem Straftäter vor Ort ändere. „Die Rezepte, nach denen die Kultur immer gefragt wird, kann sie nicht geben“, beeilte sich Christina Weiss vor falschen Erwartungen zu warnen. Der Innensenator nahm den Ball auf: Er erwarte keine Handlungsanweisungen, sondern gesteigerte Sensibilität bei der Lagebeurteilung. Im übrigen würde er selbst gerne solch' ein Seminar mitmachen.

Die Seminare werden im nächsten Jahr fortgesetzt – auch höhere Dienstgrade sollen ihr Weltbild erweitern dürfen. Vielleicht hat dann auch der Innensenator Glück.

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