: Auf Marktmechanismen keine Rücksicht nehmen
■ In Technocity arbeiten kleine Labels an der kreativen Weiterentwicklung der Musik
Berlin ist Technocity. Ganz Technocity wird von einer Clique Mittdreißigjähriger beherrscht, die ihre Ideale aufgegeben haben, um mit ihrer Musik das große Geld zu machen. Ganz Technocity? Nein, eine kleine Gruppe von unabhängigen Labels und kleinen Clubs will sich nicht korrumpieren lassen und sinnt auf Erneuerung.
In einem heruntergekommenen Fabrikgelände mit düsterem Hof im Bezirk Mitte sitzt Anton, einer der Produzenten von V-Records und nebenbei Student. Das Studio befindet sich im dritten Stock in einem kleinen Nebenraum.
Ein Viertel der acht Quadratmeter nimmt ein riesiges 24-Spur- Mischpult aus den siebziger Jahren ein, den Rest des Raums füllen ein alter Atari-Homecomputer sowie diverse Synthesizer, Sampler und ein Plattenspieler. Die geschlossene Tür dient notgedrungen als Lehne für die Hocker, für Stühle ist kein Platz. Hier arbeitet die Produzentengruppe Toktok um das Label V-Records an ihrer Vorstellung von elektronischer Tanzmusik.
„Diejenigen, die in der Öffentlichkeit Techno darstellen, betreiben doch nur noch Besitzstandswahrung und überlegen sich, was sie mit ihrem vielen Geld anstellen sollen“, sagt Anton. Natürlich haben Leute wie Westbam vor Jahren die musikalischen Standards gesetzt, mittlerweile würden sie diese jedoch nur noch reproduzieren und nicht mehr weiterentwickeln.
Die kreative Kraft der Berliner Technoszene, davon ist Anton überzeugt, ist längst in ein Netzwerk kleiner Plattenlabels und Clubs übergegangen, die weniger Rücksicht auf Marktmechanismen nähmen.
Dirk betreibt das Label 100-Records und ist einer der Initiatoren der „Made in Berlin“-Compilation von sieben kleinen Technolabels, an der auch V-Records beteiligt ist. „Die Idee war, sieben Berliner Autorenlabels zuammenzubringen und jedes Label einen Track beisteuern zu lassen.“ Wobei es Dirk wichtig ist, den Begriff Autorenlabel rein organisatorisch zu begreifen.
„Keiner der an der Platte Beteiligten begreift sich als Künstler“. Begriffe wie „Ausdruck“ oder „Werk“ seien zur Beschreibung seines Tuns unzutreffend.
Auch Andrea von Parsec-Records ist mit einem Stück auf der Compilation vertreten. Sie ist Mitte zwanzig, und wenn sie keine Musik macht, studiert sie. Für sie ist der entscheidende Unterschied ihrer Musik zu etabliertem Techno ein Moment von „Unvorhersehbarkeit“.
Die gängige elektronische Tanzmusik orientiere sich völlig an den Hörgewohnheiten und biete nichts Neues mehr. Das sieht Dirk genauso: Sounds würden sich abnutzen. Wenn er sich an einen Klang gewöhnt habe, verliere er an Reiz.
„Made in Berlin“ soll als Doppel-LP in einer Auflage von 1.000 Stück herauskommen, und neben dem Titel werden die Logos der sieben beteiligten Labels das Cover schmücken. Sollte die Compilation sich gut verkaufen, wird sie auch als CD veröffentlicht werden.
Anton war an der Produktion des V-Records-Beitrags auf der „Made in Berlin“ nicht beteiligt. Aber auch seine neue Platte wird in den nächsten Wochen in den Läden stehen. In den letzten zwölf Monaten sind sieben Platten auf V-Records herausgekommen.
Der Erlös einer Platte hat immer die nächste Produktion finanziert. „Von unserem Output her hätten es doppelt so viele sein können“, meint Anton, es dauere aber immer eine Weile, bis das Geld zurückkomme. Außerdem läßt V-Records in Prag pressen und die „brauchen immer ein bißchen länger“. Von seiner Platte läßt Anton 1.000 Stück pressen. Wenn sich die Hälfte verkauft, haben sich die Produktionskosten amortisiert, „Telefonkosten und Studiomiete nicht eingerechnet“.
Verkauft werden die Platten in den einschlägigen Plattenläden. Alleine in Berlin gibt es ein halbes Dutzend Läden, die auf den Vinyl- Ausstoß des Dancefloor-Planeten spezialisiert sind. Eine Infrastruktur, die kleinen Labels entgegenkomme, meint Anton. Die Kunden seien meist DJs, die sich durch Stapel von Platten durchhörten und das kaufen würden, was sie für ihre Auftritte gebrauchen könnten. Welches Label dann auf einer Platte klebe, sei für die DJs zweitrangig.
Mindestens genauso wichtig wie die Plattenläden sind aber eine Reihe kleiner, meist am Rande der Legalität operierender Clubs, aber „bei Läden wie dem Friseur, dem Suicide oder dem Panasonic weiß ich, daß ich respektiert werde“, sagt Anton. Beim Tresor, in dem Anton mit Toktok mehrmals aufgetreten ist, sei das nicht der Fall gewesen.
Dem stimmt Andrea zu. Sie ist für einen Auftritt im Tresor nicht bezahlt worden und zieht eine klare Linie zwischen sich und den Leuten, die die großen Clubs und Labels machen. Daß die das große Geld machen, sei in Ordnung. Sie würde sich aber aufregen, wenn sie daran denke, „daß die nicht realisieren, daß sie andere dabei abzocken“. Tobias Rapp
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