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Manolo kommt nicht mehr

Harte Zeiten für die Holzschnitzer von Brikama: Zwei Jahre nach dem Militärputsch hat sich die Touristenzahl im westafrikanischen Gambia halbiert  ■ Von Elke Krüger

„Welcome to Brikama Crafts market“, tönt es einer Touristengruppe entgegen. Auf dem Holzschnitzermarkt in Brikama, einem Städtchen im westafrikanischen Kleinstaat Gambia, lösen sich die 50 Holzschnitzer aus der Lethargie der Mittagshitze. Mit Adleraugen überwachen sie jeden Schritt eines neu ankommenden „Toubabs“. So heißen die Weißen in Gambia. „Hier, hier, ich habe die schönsten ...“, zischt es aus jedem Unterstand. Jeder Händler preist das Besondere seines Sortiments an, um so dem Standnachbarn die Kunden abspenstig zu machen.

Denn die Not ist groß bei den alteingesessenen Holzschnitzerfamilien. Über den Kunsthandwerkermarkt, dem bedeutendsten des Landes bei Masken, Trommeln, Balafonen und Figuren aller Art, ergossen sich noch bis vor zwei Jahren tagtäglich Busladungen von Besuchern. Seit dem Militärputsch 1994 haben sich die Touristen rar gemacht. Das hat den Konkurrenzkampf unter den Verkäufern angeheizt. Die Preise sind auf Niedrigstniveau gefallen.

So müssen die Holzschnitzer zähneknirschend mit ansehen, wie sich der Toubab dem Vergnügen eines ausgedehnten Handelsgespräches widmet und den für ein paar Dalasis (einheimische Währung) erworbenen Elefanten seinen weißen Freunden wie eine Trophäe entgegenhält. Holzfiguren, an denen ganze Familien in den Werkstätten hinter dem Markt wochenlang schnitzen, werden für den Gegenwert von einem halben Sack Reis abgegeben. Begehrte Instrumente wie die Djembétrommeln, einst der Marktrenner, verstauben in der Ecke. Neue Feilen und Krummäxte werden immer unerschwinglicher, die Holzbearbeitung mit den abgenutzten Werkzeugen immer mühevoller.

„Gambia – no problem“. Ungebrochen wirbt der Kleinstaat am Gambia-Fluß, der seit 30 Jahren Tourismus erlebt, mit dem Slogan. Zu Recht kann sich Gambia als das friedliebendste Land in Westafrika bezeichnen. Denn Bürgerkriege und kriminelle Delikte sind hier nahezu unbekannt. Hinter den mit Muschelschalen dekorierten Fassaden der Hotels, die wie Perlen an der „Smiling Coast“ des Atlantiks aneinandergereiht liegen, kann man über die Probleme des Landes hinwegsehen. Wer erfährt schon von den immer freundlichen Kellnern, daß sie im Monat so viel verdienen, wie die weißen Gäste an einem Abend für ihr Diner ausgeben? Wer bekommt mit, daß die „Bumpsters“, junge Männer, die vor den Hotels lauern, eine Führung durchs Dorf für den Toubab nur machen, um eine Cola oder ein Sandwich spendiert zu bekommen? Und wer begreift schon, daß sie vor lauter Hunger zu jeder Selbsterniedrigung bereit sind?

Zeternd durchbricht eine Frau das Gezischel der Preisverhandlungen. Ihr Wutanfall bringt zwar nicht die mit Lauge und Wäsche gefüllte Schüssel aus der Balance, aber sehr wohl ihren Ehemann. Den Grund wird der Touristenführer seiner Gruppe wohl kaum ins Englische übersetzen. „Seit Monaten kriege ich kein Fish-money mehr, und der sitzt hier und trinkt Coca-Cola.“ Ihr Ehemann hat ihr das morgendliche Haushaltsgeld vorenthalten. Erst als sie erfährt, daß der Toubab dran schuld ist und die Luxusbrause bezahlt habe, wird sie etwas milder gestimmt.

Heute gibt Toubab den afrikanischen Freunden nur noch selten eine Cola aus. Bis 1994 waren pro Saison noch 100.000 Touristen, die meisten aus Europa, an die kilometerlangen weißen Sandstrände geströmt. Dann machten eine Handvoll auslandserfahrener Soldaten dem Tourismus unwillentlich den Garaus. Sie ertrugen den Selbstbetrug „Gambia – no problem“ nicht mehr und verjagten den alten Präsidenten Sir Dawda Jawara ohne viel Aufhebens nach 30 Jahren Herrschaft vom Thron.

Der Übergangsstaatschef, Captain Jammeh, ein 30jähriger Militärsprößling, machte sich schnell bei der Bevölkerung beliebt. Er begann mit der Korruption aufzuräumen, ließ Schulen, Straßen und Krankenhäuser bauen. Alle paar Tage appellierte er an die Frauen des Landes, sie möchten sich doch an den politischen Entscheidungsprozessen ihres Landes beteiligen, die alten Zeiten seien vorbei.

Das interessierte die britische Regierung aber wenig. Nach dem Putsch 1994 rieten sie ihren Landsleuten von Reisen in das militärisch regierte Land Westafrikas ab. Andere Regierungen Westeuropas reagierten ähnlich. In der auslaufenden Saison ist die Zahl der Touristen wieder angestiegen, auf die Hälfte der „normalen“ Rate.

Nur die Engländer bleiben immer noch aus. „Sie sind sowieso schlechte Kunden“, schmollt Lamin Conteh, stellvertretender Vorsteher des Holzschnitzermarktes. Höher im Kurs stehen die kaufwilligeren Schweden und Holländer.

Die Holzschnitzer von Brikama versorgen nicht nur die Besuchergruppen mit Gebrauchs- und Dekorationsgegenständen, Masken und Fetischen, sondern beliefern auch die 30 Kilometer entfernten Hotels und produzieren sogar für den internationalen Markt. „Aber seit Manolo nicht mehr kommt, bleiben wir auf unserer Ware sitzen“, beklagt ein junges Talent seine schwindenden Einkünfte. Vor dem Putsch war Manolo alle drei Monate gekommen und hatte von den Händlern das Gros ihrer Ware aufgekauft, um sie dann auf Teneriffa im Parque de Loro zum Vielfachen des Einkaufspreises an die dortigen Touristen weiterzuverkaufen. Sein Auftraggeber, der Deutsche Wolfgang Kießling, war vor dem Umsturz Honorarkonsul Gambias auf der kanarischen Insel. Dann wurde er von der Übergangsregierung durch einen Gambier ersetzt.

Einige junge Schnitzer trauern Manolo noch aus einem anderen Grund nach: Manchmal hatte der Geschäftsmann einige von ihnen für ein paar Monate nach Teneriffa mitgenommen und sie als besondere Touristenattraktion im Parque de Loro schnitzen lassen. „In Europa kann man mit Holzschnitzerei doch bestimmt viel Geld verdienen“, glaubt ein 20jähriger, der wie viele meint, daß sein Berufsstand in Europa genauso anerkannt sei wie in Westafrika.

Der 75jährige Abdoullah hingegen schnitzt seit 40 Jahren unverdrossen seine Figuren. Holzspäne glitzern im schräg einfallenden Sonnenlicht in den Schweißperlen auf seiner Stirn. Er profitierte vom Aufschwung der Holzschnitzerei, als immer mehr Touristen Gambia besuchten. Heute kann Abdoullah seine acht Söhne, vier Töchter und deren Familien nur mit Hilfe seines auf Teneriffa gebliebenen Sohnes über Wasser halten. Vor 15 Jahren war er der erste gewesen, der im Gespräch mit Touristen deren Geschmack auslotete und erstmals glatt polierte Tier- und Menschenfiguren anfertigte. Besonders an Menschenfiguren hatten sich die Muslime bis dato nicht herangetraut, da ihnen ihre Religion die Abbildung des Menschen untersagt. Die Einführung der Schuhcremetechnik und der Schlammbäder führten zum gewünschten Erfolg: Glatte, nach teurem Ebenholz anmutende Figuren und auf antik getrimmte Masken avancierten bei den Besuchern zum beliebten Mitbringsel.

Wachsam beobachtet Abdoullah die Trends des ausländischen Geschmacks. „Letztes Jahr waren es lange, schmale Frauenfiguren, dieses Jahr ist es die nachdenkliche Frau“, schildert er die Konjunkturen im Holzschnitzgewerbe. So produzieren die Holzschnitzerclans hinter dem Markt derzeit eben mehr nachdenkliche Frauen als Männer, in der Hoffnung, daß nach den demokratischen Wahlen im November alles besser werde, während vorne in den Unterständen die Händler jeden Toubab lächelnd mit einem „Gambia – no problem“ zum Kauf ermuntern.

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