Bettina Ismair: Panter Preisträgerin 2009: „Integration passiert im Wohnzimmer“

Bettina Ismair hilft Flüchtlingen sich in der bayerischen Provinz zurecht zu finden. Inzwischen respektieren sie dafür sogar die Behörden.

"Ich gehe zu jenen Menschen, denen es dreckig geht, und sage: Ich helfe euch, weil ich es kann." - Bettina Ismair Bild: taz/Anja Weber

taz: Was empfanden Sie, als Sie vor fünf Jahren für die Integrationsinitiative "Offenes Haus - Offenes Herz" den Jurypreis des taz Panter Preises gewonnen hatten?

Bettina Ismair: Als ich als Preisträgerin aufgerufen wurde, bin ich erst einmal sitzen geblieben. Die Auszeichnung traf mich völlig unvorbereitet. Ich bin damals in der Annahme nach Berlin gefahren, dass wir mit "Offenes Haus - Offenes Herz" sowieso keine Chance hätten.

Die Vorfreude galt vor allem der Gelegenheit, unsere Arbeit vorzustellen und damit das Bild von Bayern in Berlin etwas zu korrigieren. Alleine die Aufmerksamkeit, die unserer Arbeit während der Nominierung zuteil wurde, war für mich bereits die Anerkennung schlechthin. Die Einladung zur Preisverleihung nach Berlin war da einfach der logische Abschluss - mehr konnte ich mir nicht vorstellen.

Mit Ihrer Initiative engagieren Sie sich sehr konkret um die Integration von Asylbewerberfamilien, die ihre Heimat verloren haben - Sie nehmen zusammen mit anderen Müttern Schulkinder am Nachmittag zu sich mit nach Hause oder begleiten Familien bei Behördengängen. Warum glaubten Sie, Sie hätten keine Chance?

Unsere Arbeit ist vergleichsweise klein, sie bezieht sich auf einen einzigen Ort, Markt Schwaben in Oberbayern. Ich gehe zu jenen Menschen, denen es dreckig geht und sage: Ich helfe euch, weil ich kann. Weil ich eine Ahnung davon habe, wie Behörden ticken. Schließlich habe ich selbst lange genug bei der Stadtverwaltung München gearbeitet und weiß, was da wichtig ist.

Bettina Ismair, Jahrgang 1962, gründete 2001 in Markt Schwaben, Oberbayern zusammen mit anderen Müttern die Integrationsinitiative „Offenes Haus – Offenes Herz“. 2009 war sie damit Preisträgerin des taz-Panter-Jurypreises.

Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit, jedenfalls in meinen Augen nicht preiswürdig. "Was ich mache, das kann doch jeder", erklärte ich einem Gratulanten nach der Preisverleihung. Worauf dieser meinte: "Genau deshalb haben Sie diesen Preis bekommen, weil es jeder machen könnte - aber weil es keiner tut." Das ist mir bis heute im Ohr geblieben.

Wobei das, was Sie tun, eigentlich der Staat leisten müsste.

Klar, wir engagieren uns dort, wo der Staat versagt. Was aber ist denn der Staat? Sind das nicht wir alle? Wenn ich einen Missstand sehe, dann reagiere ich zuerst einmal selbst, erst danach wende ich mich an staatliche Stellen. Ich möchte doch dazu beitragen, dass unser Staat, das Zusammenleben aller, gut funktioniert.

Sie gründeten "Offenes Haus - Offenes Herz" vor inzwischen 13 Jahren. Wie hat sich in dieser Zeit die Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen verändert?

Jahrelang musste ich mich im Interesse vieler Migranten mit öffentlichen Stellen anlegen. Und nicht selten hieß es: "Was geht Sie das eigentlich an?" Inzwischen spüren wir eine zwiespältige Wertschätzung. Gerade im Moment verändert sich viel, nicht nur bei uns im Landkreis, sondern in ganz Bayern. Auch weil in den letzten Jahren sehr viele neue Helferkreise entstanden sind.

Das ist gut, weil mehr Menschen verstanden haben, wie notwendig Hilfe ist. Andererseits finde ich es aber höchst bedenklich, wenn der Staat Helferkreise mit Sonnenblumen auszeichnet - noch bevor überhaupt ein einziger Flüchtling im Ort angekommen ist. Ganz allgemein muss ich leider feststellen, dass wir alle - trotz großer Hilfsbereitschaft - jetzt schon langsam an Grenzen stoßen. Wir brauchen, finde ich, dringend eine gesamteuropäische Lösung.

Was bedeutet für Sie überhaupt Integration?

Ankommen in der Gesellschaft, in den Häusern und wie unser Name sagt: in den Herzen der Leute. Von staatlicher Seite heißt es oft, die Leute seien bestens integriert, weil sie die Sprache sprechen. Schaut man genauer hin, dann leben die Menschen aber häufig aneinander vorbei. Ich spreche nicht von Assimilierung.

Im Gegenteil, jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden, mit seiner Sprache, seinen Werten, seiner Religion, seinem Essen. Das ist wichtig, das bereichert unsere Gesellschaft. Aber integriert, glaube ich, ist man erst, wenn man persönliche Kontakte hat. Natürlich, die Sprache ist der Schlüssel, um die Türen zu öffnen - noch besser ist es, wenn einem die Türen aufgemacht werden, gerade wenn der Schlüssel noch nicht so gut funktioniert.

Anders formuliert ...

... der beste Integrationskurs hilft nichts, wenn der Kursteilnehmer in seinem Wohnblock niemanden findet, mit dem er sich austauschen kann. Sich im Aufzug für ein "Hallo" zu treffen ist zu wenig, Integration passiert im Wohnzimmer. Es muss ein privater Austausch stattfinden - und zwar in beide Richtungen. Erst dann ist Integration vollendet.

Hat sich Ihr Begriff von "Zuhause" inzwischen relativiert?

Natürlich ist das Zuhause immer da, wo man geboren und aufgewachsen ist, wo man seine Wurzeln hat. Ich glaube nicht, dass man das abstreifen kann. Zuhause kann aber auch dort sein, wo ich mich angenommen weiß, wo ich mich geborgen fühle. Wo ich Freunde habe. Wo jemand da ist, der mich versteht - nicht im Sinn der Sprache, sondern wie man die Dinge angeht.

Was ist aus den Erstklässlern geworden, deretwegen Sie die Initiative damals gegründet haben?

Eine Familie ist ins Ruhrgebiet gezogen. Ich habe gehört, dass die Kinder aufs Gymnasium kamen; eigentlich müsste die Älteste inzwischen das Abitur haben. Der afghanische Freund meines Sohnes studiert inzwischen Politologie in München. Außerdem gibt es ein afghanisches Mädchen, die mit ihrer Familie noch in Markt Schwaben wohnt.

Sie hat im letzten Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, und macht zur Zeit eine Ausbildung in einer Steuerkanzlei. Ihre kleine Schwester ist schon hier geboren und geht jetzt in die Grundschule. Das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte, meinte sie stolz: "Weißt du, ich spreche jetzt auch bayrisch." Und ich fragte: "Was kannst du denn?" Darauf meinte sie in waschechtem Bayrisch: "I mog jetz grod ned."

INTERVIEW GINA BUCHER