: Die Stunde der Alteigentümer
Heute ist der letzte Tag, an dem US-Präsident Bill Clinton eine juristisch fatale Entwicklung der Anti-Kuba-Politik abwenden könnte ■ Von Bert Hoffmann
Heute ist der letzte Tag, an dem US-Präsident Bill Clinton noch die Notbremse ziehen könnte. Tut er das nicht, findet künftig die Kuba-Politik der USA in den Gerichtssälen statt. Denn sollte der US-Präsident auch heute nicht von seinem Aufschubrecht Gebrauch machen, dann tritt am 1. August das heftig umstrittene Kapitel III des Helms-Burton-Gesetzes in Kraft. Das gibt Alteigentümern das Recht, mit Klagen vor US-Gerichten Ansprüche auf ihren einst von der kubanischen Revolution enteigneten Besitz geltend zu machen. Das wäre ein grundsätzlicher Einschnitt in der Politik der USA.
Das erklärte Ziel freilich ist das alte: zum Sturz Fidel Castros beizutragen, indem der ökonomische Druck erhöht und insbesondere ausländische Unternehmer von Investitionen auf der Insel abgeschreckt werden. Neu aber sind die Mittel zu diesem Zweck. Wie selten zuvor wird die Außenpolitik Washingtons an das Justizsystem übergeben. Wenn der US-Präsident heute grünes Licht gibt, ist eine machtvolle Maschine in Gang gesetzt, die kaum zu stoppen wäre und vermutlich noch mahlen würde, wenn Clinton und Castro längst Geschichte sind.
Denn klagen dürften nicht nur die 5.911 enteigneten US-Firmen und Privatpersonen, die seit 1964 offiziell im „Cuba Claims Program“ als entschädigungsberechtigt registriert sind. Vielmehr weitet das Helms-Burton-Gesetz den „Schutz des Eigentums von US- Bürgern“ rückwirkend auf all jene Kubaner aus, die zum Zeitpunkt der Enteignung kubanische Bürger waren und erst später im Exil die US-Staatsbürgerschaft annahmen. Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, so die Bestimmungen, können auch sie ihr Recht einfordern. Damit droht der US- Justiz eine gigantische Prozeßlawine. Rund 300.000 bis 400.000 Klagen sind zu erwarten, so die Schätzung des prominenten US- Anwalts Robert Muse.
Robert Muse arbeitet für große multinationale Konzerne in den USA, teilweise auch für solche, die von den Enteignungen in Kuba betroffen waren. Im Auftrag seiner Klienten hat er dennoch Lobby-arbeit gegen das Helms-Burton-Gesetz gemacht. Denn, so erklärt der Anwalt, mehr als an zwei verlorenen Supermarktfilialen in Havanna sind die weltweit operierenden Unternehmen an der Verläßlichkeit einer internationalen Rechtsordnung interessiert. Das vor allem von exilkubanischen Kreise entworfene Helms-Burton- Gesetz ist für sie da vor allem ein gefährlicher Präzedenzfall. Denn nicht nur in seiner rückwirkenden Anerkennung einer erst später angenommenen Staatsbürgerschaft verstößt es offen gegen internationale Rechtsgrundsätze. Gravierend ist auch, daß einer nationalen Gesetzgebung grenzüberschreitende Zuständigkeit gegeben wird. Wenn nun ein italienischer Konzern für seine Geschäfte mit Kuba nach US-Gesetzen und vor US-Gerichten verklagt werden kann, dann könnten nach dem gleichen Prinzip auch italienische Gerichte in die Auslandsgeschäfte der US-Multis einmischen. Für die Leute in den Chefetagen ist das keine attraktive Perspektive.
Und auch für Bill Clinton ist es das nicht. Als im US-Kongreß über die Helms-Burton-Vorlage verhandelt wurde, hatte der Präsident wiederholt sein Veto gegen Kapitel III angekündigt, das das Klagerecht für Alteigentümer vorsieht. Doch zu diesem Veto kam es nie: Als die kubanische Luftwaffe Ende Februar zwei unbewaffnete exilkubanische Flugzeuge mit der Begründung abschoß, sie hätten den kubanischen Luftraum verletzt, kippte die Stimmung in Washington. Das Helms- Burton-Gesetz bekam nun den Charakter eines Vergeltungsschlags, passierte mit großer Mehrheit beide Kammern des Kongresses, und auch Bill Clinton unterzeichnete es feierlich.
Die einzige Bedingung, die der Präsident noch aushandeln konnte, war das Recht, das Kapitel III für sechs Monate zu suspendieren, wenn dies im höheren nationalen Interesse ist und der Demokratisierung Kubas dient. Spätestens heute müßte Clinton von diesem Aufschubrecht erstmals Gebrauch machen, um das Inkrafttreten des Klagerechts zu verhindern. Von der US-amerikanischen Handelskammer ist er dazu genauso gedrängt worden wie von den Regierungen befreundeter Staaten. Erst am Freitag hat der Präsident der EU-Kommission, Jacques Santer, in einer offiziellen Protestnote Clinton dazu aufgefordert.
Wahrscheinlich ist ein solcher Schritt aber nicht. Mitten im Wahl kampf wird Clinton es sich kaum leisten wollen, als „soft on Castro“ zu erschienen. Die EU droht dann mit einer Klärung durch die Welthandelsorganisation (WTO). Und Robert Muse hofft auf den Obersten Gerichtshof der USA.
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