Strafkammer macht langen Prozeß

■ Berufungsverhandlung erneut vertagt, da Zeugin unauffindbar

Zum letzten Mal aufgefallen, so heißt es amtlich, ist Sonja S. am 26. Mai. Einen „Platzverweis“ hat sie an diesem Tag am Hamburger Hauptbahnhof erhalten. Die Ladung als Zeugin im Prozeß gegen Lütfü G. soll sie ebenfalls bekommen haben; „persönlich übergeben“ ist in den Akten vermerkt. Der Ladung nachgekommen ist sie nicht. Seit knapp zwei Wochen wird vergeblich versucht, die Hauptbelastungszeugin für die Berufungsverhandlung aufzufinden.

Wegen Drogenhandels und versuchten schweren Menschenhandels war Lütfü G. vom Amtsgericht zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der 26jährige soll die Zeugin S. zunächst mit Heroin versorgt und später mit einem Messer bedroht haben, um sie zum Anschaffen zu zwingen (taz berichtete Anfang Juli). Er leugnet die Tat, will der drogenabhängigen Sonja S. ausschließlich Hilfe angeboten haben, sagt, daß er sie liebt. Gegen das Amtsgerichtsurteil legte er Berufung ein; seit Ende September sitzt er in Untersuchungshaft.

Ein Antrag auf Haftverschonung, den sein Rechtsanwalt gestern stellte und dem auch die Staatsanwaltschaft nichts entgegensetzte, wurde von der Strafkammer abgelehnt. Fluchtgefahr bestünde auch dann, wenn der Angeklagte Meldeauflagen erfülle, meinte die Vorsitzende der Kammer. Nach Berichten verschiedener Polizeiwachen könne es sein, daß Sonja S. einen Urlaub in Griechenland verbringt – und in der kommenden Woche zurückkehrt. Lütfü G.s Rechtsanwalt hingegen fragt sich, warum die Zeugin nicht wenigstens Gründe dafür angibt, weshalb sie nicht als Zeugin erscheint.

Der einzige Entlastungszeuge, der 16jährige Deniz D., will ein Hotelzimmer mit dem Angeklagten geteilt und den Tag der Tat mit ihm verbracht haben. Er und Lütfü G. seien am 21. September ohne erkennbaren Grund festgenommen worden. Das Messer in der Jackentasche des Angeklagten soll dem 16jährigen Freund gehört haben.

Der Prozeß wird Ende Juli fortgesetzt. Stefanie Winter