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„Sie finden Gefallen am südländischen Leben“

■ Juan Sarabia (40), Kneipenbesitzer in Madrid, über den Charakter deutscher Touristen

taz: Juan, du hast in den siebziger Jahren als politischer Flüchtling in Frankfurt gelebt. Danach hast du hier in verschiedenen Hotels viel mit Deutschen gearbeitet. Und jetzt, wo du eine eigene Kneipe hast, gehören die Deutschen, die hier im Stadtteil leben, erneut zu deinen Stammgästen. Wie ist er, der Deutsche?

Juan Sarabia: Ernst, arbeitsam, perfektionistisch, sehr diszipliniert – in Deutschland zumindest.

Und außerhalb?

Da schlägt er dann schon mal gern über die Stränge. Die meisten streifen ihre verbissene Haltung ab. Sie finden Gefallen am südländischen Leben – die ganze Nacht unterwegs, feiern.

Wo siehst du die Gründe für ein solches Verhalten?

Wahrscheinlich liegt dem ganzen eure Arbeitsmoral zugrunde. Hier ist es schon mal drin, daß du dich von der Arbeit verdrückst oder einfach nicht auftauchst. Das Leben kommt vor der Arbeit. In Deutschland ist das umgekehrt. Vom Tellerwäscher bis zum Unternehmer hat jeder seinen Berufsstolz. Ernsthaftigkeit, Pflichtbewußtsein sind Werte, die in Deutschland stärker geschätzt werden als hier. Für das Leben bleibt nur das Wochenende. Und selbstverständlich der Urlaub.

Was suchen die Deutschen in Spanien?

Wenig: Sonne, Strand, Spaß. Und was mich die Touristen am meisten fragen, ist, wo es Flamenco live gibt.

Also das alte Bild vom Stierkämpfer, der Zigeunerin, die tanzt und singt? Ein Bild, das nicht einmal in Andalusien stimmt?

Ja. Das siehst du auch an den Souvenirs. Die meisten, ob Touristen oder Geschäftsreisende – egal, über wieviel Geld sie verfügen –, nehmen den typischen Stierkampfplunder mit nach Hause, vom Spieß über eine Puppe im typischen Torrero-Anzug bis hin zu Plakaten. Die kulturelle Vielfalt Spaniens geht an den Touristen völlig vorbei.

Verlangen die deutschen Touristen von dir die gleiche Disziplin, die sie von zu Hause gewohnt sind?

Nein. Deutsche Reisegruppen sind nach den Japanern die angenehmsten. Wenn sie kein Spanisch können, versuchen sie sich mit Händen und Füßen verständlich zu machen. Ganz anders als zum Beispiel die US-Amerikaner und Engländer. Die gehen wie selbstverständlich davon aus, daß du Englisch verstehst.

Und in Sachen Gastronomie?

Die Deutschen gehören mit zu den experimentierfreudigsten Kunden. Das Bild vom Deutschen, der Weißbier und Würstchen mit Sauerkraut bestellt, stimmt immer weniger. Die meisten wollen typisch spanische Küche kennenlernen. Eine Neugierde, die erstaunlicherweise selbst beim Bier nicht haltmacht.

Fühlen sich die deutschen Reisenden den Spaniern überlegen?

Nein, ich glaube nicht. Das mit der Überlegenheit spürst du viel mehr als Ausländer in Deutschland, und dann meist seitens jener Leute, die selbst wenig gereist sind und somit nichts außer ihrer Heimat kennen. Interview: Reiner Wandler

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