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Die Heimat von Claudia Schiffer

„Antideutschen Rassismus“ gibt es in Frankreich kaum noch  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die „Morde in Stammheim“, „das Berufsverbot“, die alten „Nazis in Deutschland“ – diese Themen begleiteten einen auf Frankreichreisen noch in den siebziger Jahren. Schon früher, nach Kriegsende, mußten Deutsche Erklärungen, Distanzierungen und Standortbestimmungen ablegen. Ihre französischen Gegenüber fühlten sich moralisch im Recht, das zu verlangen – ganz egal, woher sie selber kamen und welcher politischen Richtung sie angehörten. Und die jungen Deutschen waren vor lauter Scham über die Geschichte des eigenen Landes nur zu bereit, dieses Recht zu gewähren. Wenn die Einführung dann zufriedenstellend verlief, konnte anschließend auch ein echtes Gespräch – etwas Neues – beginnen.

So war es noch vor zwei Jahrzehnten. Noch immer bestand jene Angst vor den Deutschen, die gelegentlich „boches“ genannt wurden, als wären die Kriege zwischen den Nachbarn nie zu Ende gegangen. Seither haben sich die Verhältnisse beiderseits des Rheins grundsätzlich gewandelt. Die Kriegsfilme, die Veteranenvereinigungen und die patriotischen Gedenktage sorgen weiterhin dafür, daß die Geschichte nicht vergessen wird. Aber die Fronterinnerungen und die heroischen Taten von Franzosen im Krieg bestimmen nicht mehr die Beziehungen beider Länder.

Keine Einwände, wenn die Enkel Deutsch lernen

Eine Generation von Eltern, Lehrern und Politikern ohne eigene Kriegserfahrung hat in Frankreich das Ruder übernommen. Sie hat es 50 Jahre nach Kriegsende sogar möglich gemacht, daß Frankreich anders über die eigene Verwicklung in den Faschismus nachdenkt. Und daß die heute alltäglichen Erfahrungen und Erlebnisse mit Deutschland und den Deutschen in den Vordergrund rücken. Über drei Jahrzehnte staatlich organisierter Brieffreundschaften, Städtepartnerschaften und Schulbesuche haben das ihrige beigetragen, einen Normalzustand zu schaffen.

Aus der „Wiege des Faschismus“ ist für junge Franzosen ein Land von Fußballern geworden. Die Heimat von Claudia Schiffer. Und die Wiege unerklärlicher Wirtschaftswunder. Besonders fortgeschrittene Deutschlandkenner, wie die Teilnehmer deutsch- französischer Studiengänge oder gemeinsamer Militärmanöver, weisen ausdrücklich und in krassem Gegensatz zu den bekannten Vorurteilen darauf hin, wie „undiszipliniert“ die jungen Deutschen seien. Ältere und etabliertere Franzosen überhöhen die Nachbarn gern zu jenem „Volk von Dichtern und Denkern“, das angeblich besonders brillante Ideen entwickelt, und sprechen mit Vorliebe von dem „wichtigsten Partner in Europa“.

Mit Anerkennung, manchmal auch Bewunderung, sprechen sie davon, wie stabil die demokratischen Institutionen in Deutschland seien und wie unabhängig die Justiz, und wie vorbildhaft das Land seine Krisen – zuletzt die Vereinigung – meistere. Und selbst die ganz Alten haben keine grundsätzlichen Einwände mehr, wenn ihre Enkel Deutsch lernen.

Ganz verschwunden ist der „antideutsche Rassismus“, wie der französische Journalist Michel Samson die alten Ressentiments nennt, freilich nicht. Er läßt sich schnell und für alle möglichen Zwecke jederzeit wieder mobilisieren. Zum Beispiel, wenn irgendwo in Deutschland rechtsextreme Parteien über die Fünfprozenthürde kommen. Dann geht mit schöner Regelmäßigkeit ein Aufschrei durch Frankreich – wo die Rechtsextremen immerhin auf 15 Prozent der Stimmen kommen.

Und wenn es um deutsche Touristen geht, von denen in Frankreich immerhin ganze Landstriche leben, dann feiern die Vorurteile ohnehin fröhliche Urständ. „Kaum haben die die Grenze hinter sich, kurbeln sie das Autofenster runter und schmeißen ihre Büchsen in die Landschaft“, wird da erklärt. „Die kommen hierher, um die Sau rauszulassen.“

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