piwik no script img

So fahret denn wohl...

Natürlich sind Deutsche im Ausland immer wieder peinlich – richtig gemein aber sind sie doch im Inland. Ein Reiseaufruf an die Landsleute  ■ Von Wiglaf Droste

Keine Feriensaison vergeht, ohne daß ein wohliges Geächze anhebt im Kabarett und im satirisch angehauchten Feuilleton: Igitt, jetzt fahren sie wieder zu Millionen in ihre Betonburgen und lassen sich brutzeln, die häßlichen Deutschen mit Schmerbauch, Sandalette am riechenden Fuß und einem Freizeithütchen auf der roten Omme, herrschen spanische Kellner um „Birra! Birra!“ an und benehmen sich so schauderhaft, daß die etwas weniger schlecht erzogenen – oder bloß wohlhabenderen – Deutschen sich genüßlich vor ihnen ekeln dürfen und sich deshalb irrtümlich schon für zivilisiert halten.

Ist der Witzpool des Konventional- und Pauschalurlaubs leer gefischt, greift der Sommersatiriker gern auf die Avantgarde der Neckermann-Reisenden zurück, auf die Alternativtouristen, die solo oder in der Kleingruppe durch die Welt orgeln und dabei den Dünkel des ganz anderen bzw. sogar richtigen Reisens pflegen, obwohl sie doch nichts sind als die Scouts des Massentourismus.

Ja, auch aus dem ökologisch nicht gedankenlosen und auch insgesamt recht kritischen Mitbürger lassen sich noch Witze herausquetschen für ein Publikum, das eine Pointe um so lieber mag, je öfter es schon über sie gelacht hat. Nachgerade hochmoralisch wird die Kritik an reiselustigen Deutschen, wenn es heißt, ihr unwürdiges Betragen mindere das Ansehen der Deutschen im Ausland. Dabei ist das doch gut und richtig, hilft es den Nachbarn doch, ein bißchen weniger gutgläubig zu sein. Und ist es etwa nicht logisch, daß von den Deutschen nur eine gute Meinung haben kann, wer sie (noch) nicht kennt? Nein, das Problem ist doch nicht, daß Deutsche ins Ausland verreisen – das Problem ist, daß sie wiederkommen.

Wie sehr die Maxime stimmt, nach der zehn Deutsche natürlich immer dümmer sind als fünf von ihnen, merkt man an ihrem Umkehrschluß: Ist einmal die Hälfte der Quälgeister verschwunden, die einen sonst mit ihrem Gemache und Gelärme traktieren, möchte man beinahe glauben, man lebe halbwegs menschenwürdig. Wie gut das tut, sie Frau, Hund, Kind und Koffer zusammenraken zu sehen. Selbst ihre dummen Autos mag man plötzlich – sie werden ja zur Abreise beladen. Niemals sind die Gefühle, die ich meinen Landsleuten gegenüber hege, zärtlicher, als wenn ich ihnen zum Abschied hinterherwinken kann.

Humanistisch gesonnene Mitmenschen könnten hier einwenden, meine Motive seien egoistischer Natur; für mein bißchen Ruhe vor den Deutschen müßten Tausende von Spaniern, Griechen, Franzosen usw. bitterlich leiden. Ja, das ist wahr, und das Los dessen, der den Deutschen das Wirtstier machen muß, ist unbestritten ein schweres. Aber erstens ist diese Traglast – seufz! – immer nur von kurzer Dauer, und zweitens kriegt's der vom Deutschen ungefragt zum Gastgeber bestimmte Spanier, Grieche, Franzose usw. doch immerhin bezahlt – während ich die Deutschen die restlichen zehn bis elf Monate des Jahres wieder komplett an den Hacken habe, und zwar ohne jede finanzielle Entschädigung.

Und kaum sind sie wieder zu Hause, tun sie, was sie eben tun, wenn man sie läßt: sich Lohn- und Sozialraub und überhaupt möglichst alles gefallen lassen; eine Uniform anziehen; 16jährige Autoknacker in Putativnotwehr erschießen; sich einen Baseballschläger kaufen und damit auf Leute eindreschen, die nicht den richtigen Paß, nicht die richtige Hautfarbe oder nicht die richtige Gesinnung haben; CDU, SPD, FDP, die Grünen, PDS usw. wählen; Thomas Gottschalk lustig finden; ihre Kinder mißhandeln; Autos polieren; ohne Not die Nationalhymne singen; den Hund bellen lassen; sich vermehren. Und verglichen damit ist das habituelle Vollbrechen von Badestränden nun wirklich eine Lappalie.

„Wenn es dir hier so auf die Nerven geht, warum haust du nicht einfach ab?“ höre ich die humanistisch gesonnenen Mitmenschen schon wieder quäken. Ja, warum wohl nicht? Weil es nicht geht! Nach „drüben“ kann man ja nicht mehr, weil es seit 1989 kein „drüben“ mehr gibt, und außerdem waren da ja auch Deutsche, wenn auch, was – s.o. – kein geringer Vorzug ist, erheblich weniger als im Westen. Und außerdem kann man gar nicht fliehen! Selbst verreisen – außer endgültig in die andere Welt – nützt nichts. Ich habe es doch versucht! Bis an den Nordpol noch kommen sie einem hinterhergelatscht, setzen sich leutselig auf ihre Hintern und sagen begeistert: „Hach, ist das schön, im Ausland Landsleute zu treffen.“ Nein! Ist es nicht! Es ist ebensowenig schön, sie im Inland zu treffen.

Wenn man also dem deutschen Verein schon nicht selber entkommen kann, muß man eben die anderen wegschicken. Dann aber braucht es Geschick. Einfach „Mach die Fliege!“ rufen, nützt nichts; die Säcke haben Sitzfleisch. Am einfachsten ist es natürlich, sie zu bewaffnen, in Kampfanzüge zu stecken, in Panzer und Flugzeuge zu setzen und ihnen den Rest der Welt zu versprechen. Das finden sie toll – vor allem, wenn man augenzwinkernd behauptet, das ganze sei eine humanitäre Angelegenheit, und es gelte, Menschen in Not zu helfen. Da würden sie prima mitmachen und direkt loslaufen. Aber zugegeben: Gerade für das benachbarte Ausland wäre das ein Schlag ins Kontor.

Was bleibt? Zwangsreisen ohne Rückfahrkarte? Deportation? – nein: zu bürokratisch und deshalb unmenschlich. Am Ende hilft der gute Mann sich selbst und macht einen Paketdienst auf: Deutsche schanghaien, in Kartons verpacken, einen möglichst weit entfernten und natürlich fiktiven Empfänger angeben, die Absenderadresse vergessen, ausreichend frankieren, und ab geht er, der Peter. Wer mithelfen will, schreibt an die taz, Kennwort: Flaschenpost.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen