Drogen, Nadel, Faden, Kunst

■ Direkt am bewegten Kiezrand: Andreas Schlüters neue Galerie in St. Georg

Es ist der US-amerikanische Kunst-Slang, in dem „Dealer“ sowohl für den Verkäufer von „Drugs“ wie für den Galeristen steht. Auch in Hamburg gibt es jetzt beide Szenen in großer räumlicher Nähe: In St. Georg, direkt über der Drogenhilfsstelle Drob-Inn am namenlosen Platz zwischen Kirchenallee, Langer Reihe und St. Georgskirche ist ein Baustein zu einer Veränderung der Szene gelegt. Angezogen durch die zentrale Lage, aber auch durch die wegen des sozial problematischen Umfelds bezahlbaren Mieten, hat Andreas Schlüter hier seine neue Galerie eröffnet.

Der nach vier Jahren in Frankfurt wieder nach Hamburg gezogene Galerist will sich auf fünf Ausstellungen im Jahr konzentrieren und dabei möglicherweise auch mal etwas zeigen, was Ascan Crone konzipiert hat. Denn der Galerist, bei dem Andreas Schlüter gelernt hat, unterhält in den ehemalig als Textilhandelskontor und als Hotel genutzten neuen Räumen, bei deren Umbau sogar die Decke einstürzte und eine verborgene einstige Treppe erkennen ließ, ebenfalls ein Büro.

Mit der ersten Ausstellung in der Kirchenallee zeigt der junge Galerist keine Angst vor falschen Prognosen: Der Titel heißt Jetzt noch sinnloser. Gezeigt werden Arbeiten des schon in der Frankfurter Galerie erfolgreich vertretenen Jochen Flinzer.

Der Hamburger Künstler bearbeitet die Banalität des Alltags nicht nur, indem er der Mokkatassensammlung seiner Mutter eine Sammlung knackiger Ärsche entgegensetzt, sondern vor allem durch das Besticken von trivialen Bildvorlagen. So sieht auch die zehnteilige Serie „Arsch und Tasse“ von 1991 auf den ersten Blick aus wie große Umrißzeichnungen, besteht aber aus schwarzen Garnfäden. Ob auf sämtliche vierzehn verfügbaren Postkarten des Fuji-jama die Adresse einer Bar in Tokio gestickt wird oder überstickte Comicbildchen auf Paravents gezogen werden, Flinzers Arbeiten sind immer beidseitig zu betrachten: eine Seite ist figürlich erkennbar oder als Schrift lesbar, die andere Seite bildet dagegen ein abstraktes Linien- und Formenbild. Diese Ambivalenz ist das Besondere an Flinzers Arbeit, scheint sie doch zu beweisen, an wie dünnem Faden der Umschlag von Schrift in Ornament und von Bild in Bedeutung letztlich hängt.

Die neueste Serie ist Richtig Reisen: Mit Seidenfaden auf originalen Ikatstoffen gestickt ist die Prospektbeschreibung einer Pauschalreise durch Indonesien von Jakarta zum Strand von Nusa Dua, in mehrfacher Hinsicht ein Stoff, aus dem die Träume sind. Die 17teilige Arbeit, in der Form und Inhalt besonders glücklich zusammengefunden haben, wurde übrigens von der Hamburger Kunsthalle angekauft.

Jochen Flinzer darf als einigermaßen erfolgreich angesehen werden: Zur Zeit ist er auch in der Kunstvereins-Ausstellung wunderbar mit einem Paravent überstickter Comics vertreten, im August wird der 37jährige den diesjährigen Ernst-Barlach-Preis des gleichnamigen Museums in Wedel erhalten, und das Museum für moderne Kunst in Frankfurt sicherte sich schon vor Jahren einige seiner Arbeiten.

Hajo Schiff

Galerie Andreas Schlüter, Kirchenallee 25, Mi-So 12-19 Uhr, bis 11. August (im Juli nur nach Vereinbarung: Tel 246676). Ab 6. September speziell für die neuen Räume zugeschnittene Konzept-Arbeiten von Marko Lehanka.