Am Arsch mit Lilli M.

Frontunterhaltung: Der deutsche Soldatensender Radio Andernach bringt in Kroatien Kelly Family und Kasernenhoftöne zusammen  ■ Von Martin Busche

Der weiße Container auf dem Marktplatz der kroatischen Küstenstadt Benkovać erinnert von weitem an ein Toilettenhäuschen. Doch das, was aus der Blechbehausung wabert, hat nichts mit der üblichen Klosettmusik zu tun: „Lilli Marleen“, der Hit von Lale Andersen, der schon den Nazisoldaten im Zweiten Weltkrieg zur Erbauung gedient hat. Tatsächlich beherbergt der Container den deutschen Soldatensender Radio Andernach.

Dieser wird vom Bundesverteidigungsministerium finanziert, um die in Kroatien stationierte Truppe beim Brückenbauen und Minensuchen bei Laune zu halten. Probleme mit „Lilli Marleen“ hat man auf der Hardthöhe nicht. Für Radio Andernach zuständig ist Presseoffizier Klaus Dieter Schmidt („am Ende mit DT wie Damentoilette“). Diese musikalische Traditionspflege betrachtet er ganz pragmatisch: „Wir senden jeden Abend einen Zapfenstreich. Da bietet sich ,Lilli Marleen‘ doch an, schließlich ist der Zapfenstreich in diesem Lied besonders schön.“

Vermeintlich unpolitisch sein will das gesamte Programm von Radio Andernach. Dort fürchtet man, daß harte Nachrichten auf die Stimmung schlagen und die Moral der Truppe zersetzen könnten. Studiochef Peter Horenberg und seine achtköpfige Crew sind deswegen immer „gut drauf“.

Die Presseschau bringt statt Leitartikeln die feuchtesten Gummiexzesse, „exklusiv in Coupé“, oder den Steuerskandal der Kelly Family, „nur in Popcorn“. Auch die Musikauswahl hat Kasernenniveau: Neben „Lilli Marleen“ findet sich der Bläck- Föss-Hit „Am Arsch der Welt“ oder „Ich find' Dich scheiße“ von Tic Tac Toe.

Der Truppenfunk ist mobil. Weil die von der kroatischen Regierung zur Verfügung gestellte 30-Watt-Frequenz viel zu schwach ist, um alle deutschen Stützpunkte zu erreichen, geht der Container alle zehn Tage per Lkw auf Reisen. Ist er gerade nicht vor Ort, gibt's Musik und Grüße per Kassette.

Eine Methode, die üblicherweise von Piratensendern genutzt wird. Damit hat Radio Andernach ohnehin einiges gemein. Im Raum Bonn-Koblenz war die Station bis 1974 mit jedem beliebigen Radio zu empfangen. Ungewollt versteht sich. Radiowellen machen nun mal selbst vor Kasernentoren nicht Halt. Das Programm war so ungewöhnlich wie der Sender: Während der gesamten Sendezeit gab es keine einzige Ansage, nur Musik. Lediglich eine Kuckucksuhr informierte zur vollen Stunde über die verstrichene Zeit. Wer mehr über die Station wissen wollte, stieß auf eine Mauer des Schweigens. Die ARD-Pressestelle meinte lediglich, „wir sind für diese Sendungen nicht verantwortlich“. Mitte 1974 verstummte der Sender; auf seiner Frequenz sendet nun WDR 4.

Eigentlich ist die Radiokompanie ein Kind des Kalten Krieges. 1959. Im Rahmen der sogenannten Psychologischen Verteidigung (PSV) gegründet, hatte sie anfangs herzlich wenig mit Radio zu tun. Ein Teil der Truppe war für Lautsprecherdurchsagen und „Verwirrung aus der Konserve“ zuständig. Die Truppen aus dem Ostblock sollten mit Panzer-, Fahrzeug- und Hubschraubergeräuschen vom Band irregeführt werden. Seine jetzige Aufgabe bekam Radio Andernach 1975.

Die Militärfunker sind nicht nur in Kroatien zu hören. 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind deutsche Soldaten wieder in 59 Staaten dieser Erde stationiert. Radio Andernach ist immer dabei. Ein Großteil des Programms besteht aus Verwandtengrüßen. Im Zeitalter des Internet und weltweiten Mobilfunks besprechen die Angehörigen in Deutschland Audiocassetten, die wöchentlich per Transall Richtung Kroatien geflogen werden. Auf den Kassetten bedienen sich die Angehörigen seltsamer Codes. Eine Tanja grüßt mit dem Roxette- Song „Must Have Been Love (But It's Over Now)“. Damit muß der Adressat jetzt fertig werden. Vielleicht hilft ihm ja Radio Andernach dabei.