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Der rasante Rollschuh

Das Inline-Skaten erfaßt neue Altersschichten und sorgt für einen gewaltigen Boom auf dem Sportartikelmarkt  ■ Von Markus Roder

Berlin (taz) – Gestandene Mannsbilder eiern durch die Stadt, fuchteln mit den Armen in der Luft auf der verzweifelten Suche nach Gleichgewicht. Söhne stützen Väter und geleiten sie sicher über die Straße. Auf den Parkplätzen spielen Kinder im Grundschulalter Inline-Hockey, während ihre Eltern den Sonntagsausflug neuerdings auf den kleinen Rollen machen. Inline-Skaten ist in. Und es lohnt sich auch noch. Der Sportartikelmarkt erlebt einen Aufschwung wie zuletzt durch die Einführung des Mountainbikes Ende der Achtziger. Bloß Bettwäsche vom BVB geht noch besser.

Inline-Skaten ist längst zum Sport für die ganze Familie mutiert. Immer häufiger ziehen Fitneßbewußte jeden Alters die Skates nach Feierabend an, denn Inline-Skaten ist „Fun, Sport, Action, Lebensgefühl pur“ (Pressetext). Super, wer will da nicht dabeisein. Die erst kürzlich gekauften Mountainbikes rosten im Keller vor sich hin.

Bernd Schicker (36) findet das ziemlich gut. „Mit Skates“, glaubt er, „ist man einfach flexibler. Die kann man in den Rucksack zu den Straßenschuhen packen und muß außerdem keine Angst haben, daß einem das Fahrrad geklaut wird.“ Schicker ist Geschäftsführer des Inline-Verbandes GISA (German Inline-Skating Association). Gegründet wurde die GISA im Sommer letzten Jahres von der Werbeagentur Roth, Lohre, Lorenz im schwäbischen Leinfeld-Echterdingen. Damit ist die GISA der erste Sportverband in Deutschland, der von einer Werbeagentur ins Leben gerufen wurde. Wohl nicht ganz uneigennützig: Roth, Lohre, Lorenz macht die PR-Arbeit für Marktführer Rollerblade. Ex- Stabhochspringer Günther Lohre ist zudem Präsident des Verbandes.

Mögliche Interessenkonflikte kann Bernd Schicker nicht erkennen. „Rollerblade“, sagt er, „will doch gar nicht diese Macht. Natürlich unterstützen die uns sehr gut, aber man sollte das nicht überinterpretieren.“ Andere Inline-Verbände sind davon nicht ganz überzeugt. So scheiterte Anfang des Jahres erst einmal die geplante Fusion mit dem Deutschen Inline- Skate-Verband (DIV). Der kleinere Verband, zuständig für die Stunt-Disziplinen Halfpipe und Street („halbe Röhre“ und „Straße“ – jugendliche Kaskadeure zeigen akrobatische Sprünge und Figuren oder „grinden“ – rutschen – über Treppengeländer) wollte sich nicht so einfach integrieren lassen.

Hintergrund: Während bei der GISA Rollerblade – übrigens ein Tochterunternehmen von Benetton Sportsystems – und Handelsriese Intersport maßgebliche Mitglieder sind, sind am DIV die Inline-Hersteller Oxygen, Roces, Razor Skates und Power Slide beteiligt. Zu groß war deren Angst vor einer Einflußnahme von Rollerblade. Schicker ist irritiert. „Dabei würde ich als kleiner Verband doch denken: Toll, da gehe ich jetzt zu denen, und da kann ich sogar noch was lernen.“

Mit der rührigen Ehrenamtlichkeit anderer Sportverbände hat die GISA nichts mehr gemeinsam. Matthias Kleinert, der Vorstandssprecher von Daimler-Benz, wäre wahrscheinlich begeistert. Während der befand, der deutsche Sport müsse „deutlicher als bisher auf die Wirtschaft zugehen“, und die Sportverbände aufforderte, Konzepte für effizienteres Sponsoring vorzulegen, umgeht die Industrie beim Inline-Skaten mögliche Kontroversen zwischen sportlichen und wirtschaftlichen Interessen direkt: Man gründet sich seinen Verband selbst. „Die Industrie will natürlich schon einen Verband, der aus diesem Boom eine langfristige Sportart macht“, nennt Bernd Schicker das.

Die Chancen dafür stehen gut, denn die Szene hat sich verändert. Vor wenigen Monaten noch war der typische Inline-Skater zwischen 13 und 17 Jahre alt. Inzwischen hat sich das Durchschnittsalter deutlich nach oben verschoben. Während im letzten Jahr der meistverkaufte Skateschuh der Stuntskate war, wird mittlerweile der Recreational(Fitneß)-Skate am häufigsten verlangt. „Es war frühzeitig abzusehen, daß Inline- Hockey ein ganz großer Trend wird“, sagt Schicker. Von dem Erfolg des Sports als Ausgleichssport sei er allerdings selbst überrascht gewesen. „Damit haben wir erst nächstes Jahr gerechnet.“

Goldene Zeiten für die Sportartikelindustrie. 1995 sind 800.000 Skates verkauft worden. 1996 kommen noch einmal 1,2 bis 1,5 Millionen hinzu. 400 Millionen Mark hat die Branche im letzten Jahr allein in Deutschland umgesetzt. Marktforscher sind überzeugt, daß der Trend noch vier Jahre ansteigt. Vorbild sind die USA. Im Mutterland des Inline- Trends machen inzwischen 20 Millionen Skater die Straßen unsicher.

Für Sportsfreunde, denen Skaten alleine nicht ausreicht, gibt es mittlerweile vier Special-interest- Zeitschriften – drei davon erst seit wenigen Wochen – die ausschließlich über Inline berichten. Bei so einem lukrativen Markt werden auch Unternehmen hellhörig, die mit Inline-Skaten bisher nicht so viel zu tun hatten. In nächster Zeit kommen Tecnica, Salomon und Rossignol – eigentlich als Hersteller von Skischuhen bekannt – mit eigenen Inline-Produkten in die Sportgeschäfte. Vor allem aber ein Name läßt die Branche zittern: Nike. Der Marktführer unter den Sportartikelherstellern steigt mit Macht in den neuen Markt und wird die Verhältnisse gehörig durcheinanderwirbeln. Und auch adidas und Reebok setzen auf den langfristigen Erfolg des Trends und planen die Attacke.

„Der Markt boomt doch wie verrückt. Machen Sie sich mal die Mühe und sehen, wo überall mit Inlinern geworben wird.“ Bernd Schicker ist begeistert. In der Tat: Man hat keine Chance, nicht auf sie zu stoßen. Fanta schmeißt zwei Millionen Limo-Dosen mit Inline-Motiven auf den Markt. Kein Kaufhausprospekt kommt mehr ohne spaßhabende junge Erwachsene auf Inline-Skates aus. Selbst für Tampons muß die sportive Freizeitbeschäftigung herhalten. Inline-Skates gibt es bei Aldi, Eduscho und C&A.

Und weil der Markt noch möglichst lange boomen soll, setzt die GISA auf „Lobbyarbeit und die Erstellung von Regeln“. Vor allem aber eine Frage beschäftigt Bernd Schicker: Wohin mit dem Inline- Skater im Straßenverkehr? „Wir haben eine Eingabe an das Bundesverkehrsministerium gemacht und da um einen kompetenten Ansprechpartner gebeten.“ Am besten, sagt er, sei der Skater auf dem Fahrradweg aufgehoben. „Das muß endlich einmal rechtlich geklärt werden.“ Vor Inlinern auf der Autobahn muß man sich indes vorerst nicht fürchten: „So weit“, gibt sich Schicker bescheiden, „planen wir jetzt nicht.“

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