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Als wäre Ullrich auch ein Däne

Alle antideutschen Töne in Dänemark sind verstummt, seit Bjarne Riis mit Hilfe von Team Telekom dem Sieg bei der Tour de France entgegenfährt  ■ Von Niels Rohleder

Arhus (taz) – Deutsche werden in Dänemark normalerweise nur widerstrebend geduldet. An der Westküste Jütlands dürfen sie Ferienhäuser zwar nicht kaufen, aber mieten. Das allerdings zu Preisen, die weit über denen liegen, die für dänische Mieter gelten. Touristen aus der Bundesrepublik stehen im Ruf, laut und aufdringlich zu sein. Auch im Sport kämpfen deutsche Athleten vergebens um die Sympathie dänischer Zuschauer. Nach dem Fußball-EM-Endspiel 1992 grölten Hunderttausende auf dem Kopenhagener Rathausplatz höhnisch (und in der unbeliebten Fremdsprache Deutsch): „Deutschland, Deutschland – alles ist vorbei“ – zur Melodie von „Yellow Submarine“.

Dies alles hat mit dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 zu tun, aber auch mit der Niederlage zu Preußen im Kampf um Schleswig-Holstein 1864. Da ist also historisch etwas gewachsen. Und nun? Seit ein paar Wochen ist die nationale Gemütslage völlig anders. Grund ist ein Fahrradrennen in Frankreich – oder wie es hier neuerdings heißt: das wichtigste Radrennen der Welt.

Zu Beginn der Tour de France waren in der Presse und an den Stammtischen noch antideutsche Töne zu hören. Zum Beispiel als kurz vor der Tour der dänische Fahrer Peter Meinert nicht mitfahren durfte – angeblich weil dann zu viele Dänen im deutschen Telekom-Team gewesen wären. Oder als der Sprinter Erik Zabel gesagt hatte: „Wir müssen jetzt mal aufhören, den Riis so zu verhätscheln.“ Seit aber Bjarne Riis (32) aus Herning in Jütland im gelben Trikot fährt, sind alle antideutschen Stimmen verstummt. Jetzt ziehen Dänen und Deutsche an einem Strang. Das zweite dänische Fernsehen sendet live von allen Etappen, und die Fernsehkommentatoren freuen sich neuerdings über gute Ergebnisse von Fahrern wie Jan Ullrich, Udo Bölts und sogar von Erik Zabel – es ist fast, als wären sie Dänen.

Gelobt wird die deutsche Professionalität und Gründlichkeit – Eigenschaften, die normalerweise als übertriebene Pedanterie strikt abgelehnt werden. Was vor allem hervorgehoben wird, ist aber die grenzenlose Loyalität der Deutschen ihrem dänischen Kapitän gegenüber, ihre Fähigkeit sich unterzuordnen. Bjarne Riis (32) ist spätestens seit seinem fünften Tour- Rang von 1994 Volksheld in Dänemark. Der in diesen Tagen sich manifestierende totale Erfolg von Riis läßt alle Minderwertigkeitsgefühle der Kleinstaatler hochkommen. Und zwar in der verzerrten Form des nationalen Größenwahns.

Die Fragen der dänischen Journalisten an ihren Helden Riis werden von Ergebenheitsadressen begleitet und sind oftmals so sinnlos unterwürfig – und eigentlich gar keine Fragen mehr – daß selbst der Radfahrer nur blöd grinsen kann.

In Deutschland wäre Dänemark nur ein mittelgroßes Bundesland. Niederlagen im internationalen Sport bilden eher Regel als Ausnahme. Besonders weh tut es, wenn gegen deutsche Gegner verloren wird.

Die momentane Verbrüderung mit den Deutschen hat Seltenheitswert – und ist wahrscheinlich nur möglich, weil eindeutig klar ist, wer die Nummer eins im Team Telekom ist. Ein Däne ist der Deutschen Chef. Ein Däne bringt den Deutschen Erfolg. Das ist die Botschaft dieser Tour.

Die Begeisterung geht soweit, daß selbst hingenommen wird, wenn Bjarne Riis nach seinem zu erwartenden Sieg auf den Champs- Elysées am Sonntag als erstes zum Kanzler nach Bonn fährt. Das, obwohl der Wasserträger Brian Holm – außer Riis der einzige dänische Fahrer in der Tourmannschaft von Telekom – am Mittwoch die Stimmung in der Mannschaft gegenüber der dänischen Nachrichtenagentur „Ritzaus Bureau“ so schilderte: „Wir haben uns dagegen gewehrt, aber es hat nichts genutzt. Jetzt fahren wir also am Montag nach Bonn.“

Erst nach dem Bonn-Besuch wird der seit Jahren in Luxemburg lebende Bjarne Riis Gelegenheit zu einem kurzen Triumphzug in Dänemark haben, bevor er am Dienstag schon wieder weiterjettet: nach Atlanta, Georgia.

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