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Berliner Rollheimer im Irgendwo

■ Nach der Räumung der East Side Gallery haben sich deren BewohnerInnen jetzt über die ganze Stadt verstreut

Berlin (taz) – Die erste Nacht nach der Räumung der Wagenburg an der East Side Gallery in Berlin haben die meisten ehemaligen BewohnerInnen im Freien verbracht. Rund 30 übernachteten in einem kleinen Parkstück nahe des Mauerstreifens, andere krochen in anderen Wagenburgen unter. Insgesamt existieren in Berlin noch neun Rollheimergelände.

Gestern wurde bekannt, daß sechs der 99 Überprüften, die nach der Räumung untersucht wurden, an Tuberkulose erkrankt sind, einer davon lebensgefährlich. Alle sechs Tuberkulosekranken konnten nach der Untersuchung gehen und halten sich irgendwo in Berlin auf. Inzwischen werden sie polizeilich gesucht.

„Da die meisten Rollheimer keine Möglichkeit hatten, ihre persönlichen Dinge mitzunehmen, mußten wir in aller Eile Schlafsäcke und Decken besorgen“, beklagt sich Udo Krentzel von der Treberhilfe e.V., der die rund hundert BewohnerInnen seit zwei Jahren betreut. Ein Großteil sei jedoch einen Tag nach der Räumung nicht mehr auffindbar, besonders die ausländischen WagenburglerInnen seien wie vom Erdboden verschluckt.

Einige wenige Geräumte hätten das Angebot einer Unterbringung in Obdachlosenheimen genutzt, so der für die Räumung zuständige Polizeioberrat. Viele der WagenburglerInnen besitzen allerdings Hunde, und die sind in den Heimen unerwünscht.

Welche Wohn- und Lebensperspektive die ehemaligen Mauerstreifen-BesetzerInnen nach der Räumung erwarten, ist Udo Krentzel jedoch unklar: „Sie werden in die Obdachlosigkeit getrieben, das steht fest.“ Deswegen werde unter den Geräumten diskutiert, das vom Senat angebotene Ersatzgrundstück am Ortsrand von Berlin tatsächlich als neuen Standort anzunehmen, um CDU- Innensenator Jörg Schönbohm „eins auszuwischen“. Dieser hält eine Neuansiedlung im Bezirk für nicht realisierbar. Die meisten der 150 Bauwagen sind fahruntüchtig und nicht polizeilich registriert.

Innerhalb der nächsten vier Wochen können die ehemaligen BewohnerInnen ihre restlichen Habseligkeiten auf dem jetzt von der Polizei bewachten Gelände abholen. Auf dem Gelände wurden insgesamt 65 Umweltvergehen festgestellt. Unter anderem lagern dort Altölfässer, Batterien und Motorenteile. Nach ersten Schätzungen des Bundes als Eigentümer soll die Entsorgung des Geländes rund 3,5 Millionen Mark kosten. Julia Naumann

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