Seltsamer Auftritt

■ Totgeglaubter tschetschenischer Rebellenführer zurück aus Deutschland

Moskau (taz) – Mit Baskenmütze und Sonnenbrille a la Ché Guevara präsentierte sich am Donnerstag abend der totgeglaubte tschetschenische Rebellenführer Salman Radujew (28) den Fernsehkameras. Radujew hatte sich vor allem einen Namen als Geiselnehmer gemacht.

Im Januar hatten Radujews Leute in der dagestanischen Stadt Kisljar über 3.000 Geiseln genommen und sich dann mit Hunderten von ihnen im Dorf Pjerwomaiskoje verbarrikadiert. Während der nicht unterkellerte Ort von russischen Truppen dem Erdboden gleich gemacht wurde, gelang Radujew – mitsamt seinen Mannen plus Geiseln – eine spektakuläre Flucht durch den dreifachen russische Belagerungsring. Ein zweites Mal kam er offenbar davon, als im März ein Scharfschütze auf seinen Jeep feuerte. Zeugenaussagen zufolge drang eine Kugel in seine rechte Wange ein und aus dem linken Auge wieder aus.

Die spezifische Art der Verletzung machte eine Identifizierung des Rebellenführers bei seinem Fernsehauftritt nicht leichter. Radujew berichtete, das Auge verloren zu haben und gerade von einer plastischen Operation aus Deutschland zurückgekehrt zu sein. Zwei anwesende Korrespondenten, die Radujew früher interviewt hatten, meinten, er scheine es wirklich zu sein.

Im Zuge seiner Wiederauferstehung gab Radujew zwei sensationelle Erklärungen ab. Erstens nahm der Starterrorist die Verantwortung für die beiden Sprengstoffanschläge in Trolleybussen auf sich, die in der letzten Woche Moskau erschüttert hatten. Dabei erklärte er, die erste der beiden Operationen sei „zu Ehren meiner Rückkehr“ erfolgt. Seine zweite Überraschung betraf den offiziell verstorbenen tschetschenischen Präsidenten General Dschochar Dudajew. Der, so verkündete Radujew, sei ebenso lebendig wie er selbst. Beide Behauptungen widersprechen den Aussagen anderer tschetschenischer Feldkommandeure und des Landesvaters Jandarbijew. Dudajews Tod wurde außerdem von dessen Frau Alla detailliert geschildert. Und auch die russische Regierung hat alle Gerüchte über ein Weiterleben Dudajews für unhaltbar erklärt.

In der Vergangenheit hatte es Reibereien zwischen Radujew und den anderen Rebellenführern gegeben. Stabschef Aslan Maschadow und Schamil Bassajew, ebenfalls ein erfolgreicher Geiselnehmer, hatten die Aktion in Kisljar als unverantwortlichen Alleingang bezeichnet. Unter den Kämpfern gilt Radujew als geltungssüchtig. Dies wiederum spricht dafür, daß wirklich er es war, der am Donnerstag an die Öffentlichkeit trat. Barbara Kerneck