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Die Schattenseiten einer Olympia-Metropole

■ Menschenrechtsgruppen kritisieren den Zustand der Bürgerrechte in Atlanta

Am 7. Dezember 1995 rannte eine Gruppe von Männern in einen Motorradladen in Atlanta, schrie wild herum und wedelte mit gezückten Pistolen. Im Glauben, es handele sich um einen Überfall, begann ein Angestellter, auf die Männer zu schießen. In der darauf folgenden Schlacht starb ein unbeteiligter Kunde, Jerry Jackson, und einer der bewaffneten Männer wurde verwundet. Es handelte sich um einen Polizeioffizier, und die vermeintliche Gruppe von Gangstern war eine Streife in Zivil.

Der Fall erregte Aufsehen, als Augenzeugen berichteten, Jerry Jackson sei von einem der Polizisten regelrecht hingerichtet worden, als er auf dem Bürgersteig draußen ausgestreckt lag, und die ermittelnden Behörden hätten dies bewußt unterschlagen. Mehrere hochrangige Polizeioffiziere wurden ausgewechselt, Atlantas Bürgermeister Bill Campbell forderte die Bildung einer zivilen Beschwerdebehörde zur Kontrolle der Polizei – und stand blamiert da, als ihm erklärt wurde, daß es diese Behörde längst gebe, aber mit so begrenzten Vollmachten, daß ihre Existenz praktisch unbemerkt geblieben war. Vorher hatte Campbell noch stolz getönt, in kaum einer US-Stadt gäbe es so wenig Beschwerden gegen die Polizei wie in Atlanta.

Solche und andere Fälle beschreibt die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ in ihrem neuen 214seitigen Bericht „Modern Capital of Human Rights? Abuses in the State of Georgia“. Von Polizeiübergriffen bis zur Beschränkung der Bürgerrechte von Obdachlosen und neuesten Gesetzen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit im Internet reicht der Katalog der Schattenseiten einer Olympia-Metropole, die sich in ihrer erfolgreichen Bewerbungsschrift als „Geburtsstätte der Bürgerrechtsbewegung und für viele die moderne Hauptstadt der Menschenrechte“ präsentiert hatte.

Mit neuen Vorwürfen wird amnesty international am Dienstag an die Öffentlichkeit treten, wenn ihr Generalsekretär Pierre Sané und der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu die fortgesetzte Vollstreckung der Todesstrafe in Georgia anprangern wollen. Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1977 wurden in Georgia 103 Menschen zum Tode verurteilt, davon 44 gegen Schwarze, und zwanzig davon hingerichtet. Der Polizist Waine Pinckney, der in Atlanta Jerry Jackson erschoß, gehört natürlich nicht dazu. Er wurde im Februar mit seinen Kollegen von einem Schwurgericht freigesprochen. Eine Geschworene fand sogar, die Beamten hätten für ihre „schwere Arbeit“ Auszeichnungen verdient. Dominic Johnson

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