Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 8

Denn alles, was zum wahrhaften metropolitanen Leben gehörte, fand und erlebte Denise mit ihrer Nachbarin zwischen Weichspülern und öffentlichen Waschmaschinen. Und mit Glück, hoffte Denise, noch immer Single, würde sie während einer der 60-Grad-, vielleicht auch 90-Grad-Wäschen, ihren nächsten Partner finden. Die Waschküche war für Denise zu einem Ort der Aussprache, der Reflexion und der Andacht geworden. Hier wusch sie das ultimative Waschprogramm ihres Lebens. Und immer sonnabends nachts fieberte sie mit der fünfzehnjährigen Carola zu dem großen Wasch-Center am Hansa-Platz, um ihren Horizont und ihre Hoffnungen zu erweitern. Da gingen noch echte Männer um, und bei Bedarf, Denise zur Hand und an die Wäsche hinter den Waschmaschinen. Denise schmitzte romantische Szenen auf ihr Gesicht. Opa! rief Denise. Spuck sofort die Scheiße aus! Herbert spie die Kartoffelschalen vor Wut aus. Sie hatte es ihm immer wieder verboten. Er hatte ihr wie immer alles versprochen. Sie hatte ihn bisher immer und immer wieder erwischt. Aber Erwischen kam für Herbert irgendwie nicht schlecht. So hatte er stets Denise Aufmerksamkeit. Opa, du gehst zum Spielplatz, bis wir mit der Wäsche fertig sind! Herbert war ihr kleiner Soldat. Herbert salutierte. Herbert schlug sich durch die Büsche. Denise treppte ab in die Waschküche: Zeit für die tägliche Gehirnwäsche mit Carola. Früher tratschte Denise noch im Treppenhaus. Aber seitdem alle Türen zu Spionen gekommen waren, die Wände ohrten und die Nachbarn den Mund voller Männergeschichten über Denise und Carola hatten, wichen die beiden jungen Frauen lieber in den Untergrund der Waschküche aus.

Herbert ging zum Spielen. Er fing ein Gespräch von Poller und Glatter auf dem Spielplatz ein, die gemeinsam durch ihre Vergangenheit greisten. Weit oben klebte Afram, der Grieche, an seinem Fenster.

Das ist so ein Laumann wie du, Opa, sagte Denise immer. Herbert störte das nicht. Er winkte dem Afram zu. Der Afram winkte nicht zurück. Mehr Mensch war nicht in Sicht. Poller und Glatter rentnerten seit Stunden auf der Bank im Hinterhof. Poller drückten bereits 85 Jahre zu Boden. Glatter folgte ihm mit zwei Jahren Abstand. Und ihre Familien drohten ihnen seit Jahren mit dem Altenheim. Aber Glatter und Poller drohten mit einem Erbe zurück, das niemand von den Verwandten vergessen würde. So warteten alle auf den Tod von Glatter und Poller. In Ruhe. In Sicherheit. Und Amen. Aber der Tod ließ auf sich warten. So mußten Glatter und Poller weiter auf Erden einsitzen und zwar lebenslänglich. Ihre Zukunft lag heute weder im Sterben noch im Leben. Und so machten sie in Langeweile. Am Anfang jedes Monats holten sich Glatter und Poller ihre kargen Renten von der Post. In der Mitte des Monats wurde ihnen der Imbiß um die Ecke zu teuer, dann schlarafften sie durch die Abfälle der Wochenmärkte und völlten sich die Mägen mit Früchten und Gemüseallerlei. Und am Ende des Monats gingen ihnen wie gewohnt die Spatzen aus, weil Poller und Glatter nichts mehr zum Füttern hatten. So blieb ihnen nur, den kleinen Mädchen in der Sandkiste unter den Rock zu schauen; das brachte von Zeit zu Zeit Adrenalin in ihr Blut; in ihre Ständer. Hallo, Jungs! wedelten Herberts Worte freundlich. Aber die Jungs reagierten mit keinem Wort. Herbert wollte zwischen Poller und Glatter Platz machen und Glassplitter im Sand zählen oder Murmeln, Hinkebein, auch Schweinebaumeln spielen. Das ist meine Bank! drohte Poller Herbert sofort. Deine Bank? Ja, meine Bank! Aber das ist eine öffentliche Bank! Eben nicht! Glatter dürrte seinen Finger brutal in Herberts Bauch. Herbert verunfallte auf der Stelle. Er schlug mit dem Rücken, dann mit dem Kopf auf den Rand der Sandkiste auf. Alles wurde sofort schwarz. Und nichts ging gut. Und im Schwarz formierten sich Nebel zu Geschichten und Gesichtern. Auch die Gesichter von Poller und Glatter tauchten auf.

(Fortsetzung folgt)

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