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Der wilde Osten

Wasser aus der Marsch: In Wilhelmsburg beharken sich Gemüsebauern und Naturschützer  ■ Von Vera Stadie

Am Rande des Pressegespräches, mit dem die Gemüsebauern von Moorwerder die Salatsaison einläuteten, wurde ordentlich gelästert. Von „Brunnenvergiftern“ und „Intriganten“ war die Rede. Gemeint waren die „zänkischen“ Naturschützer; Zankapfel sind die Wasserstände in den Marschengräben, den sogenannten Wettern.

In Moorwerder und im Wilhelmsburger Osten bestimmen seit jeher die Grundbesitzer, also die Landwirte, wo's langgeht. Und während Moorwerder traditionelles Gemüseanbaugebiet ist – wo sich Salatkopf an Salatkopf reiht– , nutzten die Landwirte die Marschwiesen im Wilhelmsburger Osten bisher eher als Weideland oder zum Getreideanbau. „Vor drei, vier Jahren begannen die Bauern auch dort Gemüse anzubauen“, berichtet Harald Köpke vom BUND, der in Kirchdorf wohnt und der „zuständige“ Naturschützer vor Ort ist. Obwohl selbst kein Bauer, weiß er doch aus Beobachtungen: „Salat braucht seine tägliche Dusche, der besteht ja fast nur aus Wasser.“

Die haben sich die Grundeigentümer im Wilden Osten aus den Marschengäben geholt. „Illegal“, schimpft Köpke. Der Mann hat recht, das bestätigt ein Anruf beim Bezirk Harburg. Erst im vergangenen Sommer erteilte man dort dem Wasserverband Wilhelmsburg Ost – einem Gremium aus Landbesitzern, das seit den 30er Jahren weitgehend alleiniger Herr übers Be- und Entwässern ist – die entsprechende Genehmigung, ganz großzügig. 4000 Kubikmeter Wasser pro Tag dürfen die Landwirte aus den Wettern auf die Felder pumpen. „Da schlägt jeder Fachmann die Hände überm Kopf zusammen“, kritisiert Köpke mangelnden bezirklichen Sachverstand: „Sie können zusehen, wie die großen Motorpumpen die Wettern leerlutschen.“

Wenn ein Graben einen Meter tief und einen Meter breit sei, dürften an einem Tag bis zu vier Kilometer leergepumpt werden, rechnet der Naturschützer vor. Aber auch bei Regen macht der Gemüseanbau in Wilhelmsburgs Osten Probleme. Während in Moorwerder das Wasser sofort in den Elbsanden versickert, bleibt es hier im Marschenboden stehen. Und eine Gemüsepflanze, so erklärt Köpkes Widersacher, der Gemüsegärtner Jonny Beckedorf, „steht nicht gern im Wasser“. Aber auch dafür gab's beim Bezirksamt die passende Genehmigung. Wenn es ihnen zu feucht wird, dürfen die Bauern den Wasserstand im gesamten Grabensystem um bis zu 20 Zentimeter absenken.

Das bedeutet in einigen flacheren Gräben, daß sie völlig leerlaufen. „Da findet Natur nicht mehr statt“, so Köpke. Die seltenen Kolbenwasserkäfer und die Moorfrösche sitzen auf dem Trocknen. Köpke hält seinen Unmut über die Wilhelmsburger Feudalherrschaft nicht zurück. „Die Bezirke graben Hamburg das Wasser ab.“

Bezirksamtsleiter Michael Ulrich gibt offen zu, kein Experte für Be- und Entwässerung zu sein. Das würden die Wasserverbände regeln. „Die Bauern benötigen andere Wasserstände, als sie die Naturschützer für sinnvoll halten“, umreißt er den Streit im Stadtteil und verweist auf eine große Debatte im Herbst. „Spätestens im November“ wolle die für Landwirtschaft zuständige Wirtschaftsbehörde über die Wilhelmsburger Wasserstände eine öffentliche Diskussion veranstalten. Geladen sind alle, die dort ein Wörtchen mitreden wollen: von den Natur- und Deichschutzbverbänden über Bezirks- und Ortsamtsvertreter bis zur Umwelt-, Bau- und Stadtentwicklungsbehörde.

Auch bei der Wirtschaftsbehörde sind die Querelen im Wilhelmsburger Osten bekannt: „Es wird zuviel Wasser von den Landwirten entnommen“, weiß Behördensprecher Wolfgang Becker. Die Nutzer würden das vor Ort selber regeln. „Bisher entscheiden die örtlichen Würdenträger.“

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