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Meinem Lieblingsstückeerkenner gewidmet Von Susanne Fischer

Da es ein überaus blödes und langweiliges Gefühl ist, tagaus, tagein „ich“ zu sein, niemals aber Mickymaus, vielleicht auch bloß ein Regenwurm oder ein Nachrichtensprecher, begrüße ich bewußtseinserweiternde Erlebnisse aller Art durchaus. Man kann z.B. einen Liter Milch trinken und sich dabei vorstellen, wie man langsam in eine Milchflasche verwandelt wird. Allerdings mag ich gar keine Milch und ziehe andere anregende Substanzen und Ereignisse vor.

Exzessives Musikhören ist ausgezeichnet geeignet, um ein wenig zur Mickymaus zu werden, und ich dachte, da sei ich mir mit vielen anderen netten Menschen einig, die, so wie ich, politisch inkorrekt, manipulierbar und massenerlebnisgeil in das eine oder andere Konzert plumpsen, um das enge Gefängnis der Milchflasche für einige Stunden abzustreifen und mit vielen anderen ein großes, rundes Mickymausohr zu bilden, das vielleicht manchmal, wenig ohrentypisch, klatschen und „Oh!“ rufen möchte und darf, sich sonst aber gefälligst streng rezeptiv zu verhalten hat. Störend wirken da bereits die professionellen Kritiker, die mit professionellem Stirnrunzeln „ZU LAUT!“ auf ihren Notizblock krakeln, weil sie diese wichtige Info sonst eventuell vergessen.

Doch längst hat die unselige Distanz zum Geschehen auch die Durchschnittsmickymaus erfaßt. Warum benehmen sich die meisten Konzertbesucher so, als hätten sie die Karten von ihrem mißliebigen Chef geschenkt bekommen und würden sich auf dem heiligzusprechenden Boden, auf dem gerade Neil Young und Bob Dylan ihre Arbeit abliefern, bloß widerwillig herumtreiben, weil ihr Fernbleiben sonst negativ in ihrer Personalakte vermerkt würde? Warum quaken sie in einer Tour, verschütten ihr Bier über meine Hose und erzählen ihren Nebenleuten ungefragt im Ton begeistertster Heilsverkündung, daß Neil Young nun auch schon 50 sei, Dylan dagegen eventuell noch fünf Jahre älter? „Und wenn schon!“ möchte man rufen, doch man gehört nicht zu den verachtungswürdigen Konzerverquatschern und leidet folglich stumm unter dieser Horde schlecht erzogener Selbstdarsteller, denen auch noch die größten Ereignisse bloß als Spiegel ihrer verkommenen, mickrigen Dabeiseinperson dienen. Meinetwegen dürfen sie zu Hause in der Badewanne Neil Youngs Hits rauf und runter singen, aber nicht im Konzert bei Unterschreitung meiner Fluchtdistanz! Und wenn sie nicht vor sich hin quaddeln, wie sie tatsächlich schon vor 25 Jahren mal Bob Dylan echt gut fanden, verlegen sie sich aufs Stückeerkennen. Da tobt dann nach kaum fünf Takten frenetischer Applaus los, der nur eins feiert, nämlich das Publikum. Mein Lieblingsstückeerkenner ist auf Neil Youngs „Unplugged“-CD für alle Ewigkeit entblößt: Es erklingt „The needle and the damage done“, wie man weiß, kein völlig unbekanntes Stück. Die Durchschnittsblödis merken nach dem Vorspiel: „Huch, kenne ich ja! Klatsch, klatsch.“ Mein einzelner Liebling aber erinnert sich erst, sehr dumpf, nach dem ersten Vers, als längst wieder Ruhe im Publikum eingekehrt ist: „Grölpfeiftrampel.“ Ihm widme ich mein Denkmal für den anonymen Stückeerkenner, das von mir kunstvoll aus einer Badewanne und ein paar gefesselten Händen (Nachbildung) zusammengeschraubt wurde. Bitte klatschen Sie jetzt.

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