piwik no script img

Das Los der Sargtischler

■ „The Passion Of Darkly Noon“: Märchen der Besessenheit

Philip Ridley ist ein Fachmann für Obsessionen. Der anerkannte visionäre Maler formte sie zu Kurzgeschichten und zu seinem ersten Spielfilm, der zum absoluten Festivalabräumer wurde: Reflecting Skin – Schrei in der Stille. Die mystischen Bilder, in die Ridley die Ängste und Bedrohungen – reale und irreale – des kleinen Jungen Seth verwandelte, schufen hier ein fesselndes Universum.

Darkly Noon stolpert uns nun in Ridleys zweitem Film wie Seths großer Bruder entgegen: Von bigotten Eltern durch Haß und Angst lieblos gegängelt, schließlich von Visionen durch den finsteren Wald gepeitscht, nachdem feindselige Mitmenschen seine Eltern nebst ihren Sektenbrüdern ermordet haben. Wer dabei an das Massaker von Waco denkt, liegt nicht falsch. Bei den Dreharbeiten zu Reflecting Skin, so erzählt der Regisseur beim Interview, habe er – auf der täglichen Fahrt zum Drehort – den Kindern Fairy Tales erzählt und die aktuellen TV-Berichte über Waco mit verarbeitet. Voilà: Die Grundidee zu The Passion of Darkly Noon.

Darkly (Brendan Fraser), etwa 16, wird nicht mehr nur von Kinderängsten gequält, Sexualität, sündige Fleischeslust, martern seine von frömmelnden Verboten vergitterte Vorstellung. Vor allem, da seine Retterin aus dunklem, bedrohlichem Wald Callie (Ashley Judd) heißt, jung, schön und sehr begehrenswert ist. Darkly Noon verfällt dieser Frau in blinder Raserei, sein Name wird Programm. Während er Callie und ihrem taubstummen Tischler (Viggo Mortensen) in der Waldlichtungs-Idylle beim Liebesspiel zusieht, geißelt Darkly sich mit Stacheldraht. Blut soll fließen und bald nicht nur das eigene. Uhugleich, mit sauberen Einschußlöchern im Jackett in den Bäumen sitzend, fordern seine Eltern ihn schmallippig auf, die Inkarnation Satans zu töten und leiten damit das blutrote Finale ein.

Mut zu großen Visionen birgt immer auch die Möglichkeit zu großen Abstürzen. So schleichen sich hier in den Geisterzug der sexuellen Entfremdung Klischees vom Ewigweiblichen als Erdmutter und Sexy-Hexy zugleich, und wie im bürgerlichen Roman hat der Held zu jeder Stimmung das passende Wetter. Das Psycho für die 90er Jahre ist Philip Ridley, entgegen vollmundiger Selbsteinschätzung, mit Darkly Noon nicht gelungen. Vielleicht sollte er im nächsten Film noch einmal in die Zeit der Vorpubertät zurückkehren. Dieses Universum scheint seinen Visionen gemäßer zu sein.

Gisela Kruse

3001-Kino

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen