■ Kommentar: Nischen leergefegt
Was vor einigen Jahren als spontane, anarchistische Aneignung von Brachflächen in der Mitte der Stadt begann, wird jetzt auf Schrebergartenniveau zurückgestutzt. Die Senatsverwaltung für Soziales will die Bewohner der Wagenburgen domestizieren: Künftig verbietet eine Platzordnung, Müll abzuladen, und die Rollheimer sollen Miete zahlen. Die senatsgeförderte Wagenburg in Staaken bekommt eine Sozialarbeiterin und einen Platzwart, der nicht nur die Standgebühr kassiert, sondern auch noch kontrolliert, ob Neuankömmlinge laut Attest seuchenfrei sind.
Das Kalkül, wie Staatssekretär Detlef Orwat (CDU) unverhohlen einräumt, ist die abschreckende Wirkung solch surreal anmutender Ordnungsmaßnahmen. Das Ziel ist Selektion: Wer brav Geranien vor dem Bauwagen pflanzt, wird bis auf weiteres geduldet. Diejenigen, die sich Law and order nicht unterwerfen wollen, müssen sich einen neuen Unterschlupf suchen. Die „Problemfälle“ sollen erst gar nicht in Staaken ankommen. Ihnen bietet man allenfalls einen Platz im Obdachlosenheim an.
So untragbar die Zustände in der East Side Gallery waren, sie waren nicht typisch für die Wagenburgen. Doch nun werden sie benutzt, um bei allen anderen den eisernen Besen zu schwingen. Die Wagenburgen zu reglementieren trifft sie ins Mark. Fatal ist auch, geräumte Rollheimer in anderen Wagenburgen anzusiedeln und damit gewachsene Gemeinschaften zu zerstören.
Der Zähmung der Widerspenstigen wird die schleichende Abwicklung der alternativen Lebensform folgen, so lautet die Absicht des Senats. Für die Schmuddelkinder ist kein Platz im Herzen Berlins. Die letzten Nischen werden leergefegt. Die Stadt verliert ein Stück Alternativkultur. Dorothee Winden
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