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90 Prozent Frauen amputiert

Ägypten will die Klitorisbeschneidung bestrafen. Ob das diesmal wirkt, hängt entscheidend von den islamischen Rechtsgelehrten ab  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Als Sarah von ihren verschreckten Eltern am 14. Juli in das Kairoer Krankenhaus gebracht wurde, war es bereits zu spät. Die ÄrztInnen konnten nichts mehr tun. Das elfjährige Mädchen starb an einer Infektion, nachdem ihre Genitalien beschnitten worden waren. Zwei Tage zuvor war sie während einer Kirmes in einem Dorf im nördlichen Nildelta von ihrer Familie zum lokalen Barbier geschickt worden. Grund ihres Todes, heißt es in der ägyptischen Presse, war die rostige Rasierklinge, mit der die Operation durchgeführt worden war. Eine Woche nach dem Tod des Mädchens wurden erste Ergebnisse einer vom Staat in Auftrag gegebenen Studie zur Mädchenbeschneidung bekannt. Danach sollen über 90 Prozent der ägyptischen Frauen beschnitten sein. Selbst die größten PessimistInnen waren bisher aufgrund kleinerer Studien von höchstens 80 Prozent ausgegangen.

Nach diesen neuesten Horrormeldungen will nun der Gesundheitsminister dieser Praxis einen Riegel vorschieben. Letzte Woche verkündete Ismail Sallam, daß fortan diejenigen bestraft werden sollen, die die Operation durchführen, egal ob sie in den staatlichen oder den privaten Kliniken arbeiten. Das genaue Strafmaß ließ er allerdings noch offen. Bisher waren die Operationen selbst in staatlichen Krankenhäusern zugelassen, mit dem Argument, daß die Frauen ansonsten die zum Teil äußerst unhygienischen Dienste von Barbieren oder Hebammen in Anspruch nähmen.

Zusätzlich zur strafrechtlichen Verfolgung der Beschneidung will der Minister auch 400 Frauen-Gesundheitszentren und 270 mobile Kliniken ins Leben rufen, die durch die ägyptischen Dörfer touren sollen. Durch Aufklärung sollen diese neuen Institutionen Beschneidungen verhindern.

Es gab schon einige Versuche, die Klitorisbeschneidung unter Kontrolle zu bekommen. Zuletzt war der frühere Gesundheitsminister vor zwei Jahren nach der UNO-Weltbevölkerungskonferenz kläglich gescheitert. Damals sollten auch diejenigen bestraft werden, die ihre Töchter zu der blutigen Operation schicken. Was folgte, war ein regelrechter Aufschrei, vor allem in den konservativen und islamistischen Medien. Dutzende von islamischen Würdenträgern, Fernsehscheichs und Gelehrten der islamischen Azhar- Universität meldeten sich zu Wort. Tenor: Die Verstümmelung der Frauen sei islamisch geboten. Die Frauenbeschneidung sei nicht obligatorisch, aber die islamischen Rechtsgelehrten glauben, daß damit die „Ehre der Frauen“ erhalten bleibe, ließ der einflußreiche Fernsehscheich Al-Scha'arawi verlauten. Für die GegnerInnen der Beschneidung war diese Aussage katastrophal, lesen dem Fernsehscheich doch wöchentlich Millionen von ÄgypterInnen gläubig jedes Wort von den Lippen ab. Andere Scheichs argumentierten mit einer angeblichen Aussage des Propheten Muhammad, „Nehme ein wenig weg, aber zerstöre es nicht“.

Viele WissenschaftlerInnen führen dagegen an, daß der Brauch nichts mit dem Islam zu tun hat. In der Wiege des Islam, in Saudi-Arabien, ist die Praxis ebenso unüblich wie in der Islamischen Republik Iran. „Tatsache ist, daß viele Muslime, die der Praxis nicht folgen, überrascht sind, wenn sie davon hören, und daß sie einfach nicht glauben können, daß dies mit dem Islam zu tun hat, den sie kennen“, schreibt die sudanesische Beschneidungsspezialistin Nahid Touba in ihrem Buch „Genitale Frauenverstümmelung – Eine Aufforderung zu globalem Handeln“. In Ägypten lassen sowohl die muslimischen als auch die christlichen Mütter ihre Töchter beschneiden. „Es ist eine alte, wahrscheinlich afrikanische Tradition“, erklärt die ägyptische Gynäkologin und Antibeschneidungsaktivistin Mawaheb El-Mouelhy.

Doch all diese Argumente ließen damals die ägyptische Öffentlichkeit weitgehend ungerührt. Im Gegenteil: Der ehemalige Gesundheitsminister hatte in guter Absicht, den Brauch abzuschaffen, einen regelrechten konservativen backlash provoziert. In wenigen Wochen war die im stillen, ohne großen Medienaufwand betriebene Bildungsarbeit vieler nichtstaatlicher Organisationen zerstört. Am Ende mußte dann der Minister seine Initiative zurücknehmen.

Der neue Gesundheitsminister kann diesmal aber immerhin auf die Unterstützung der islamischen Azhar-Universität rechnen, einer der wichtigsten Rechtsinstitutionen im sunnitischen Islam. Der größte Gegner seines Vorgängers war ihr inzwischen verstorbener Vorsteher Scheich Gad Al-Haqq. Vehement hatte dieser für die Frauenbeschneidung plädiert. Sein Nachfolger Scheich Tantawi hatte sich dagegen bereits mehrmals ausdrücklich dagegen ausgesprochen. „Wenn Ärzte sagen, daß die weibliche Beschneidung untersagt werden muß, dann müssen wir den Rat respektieren“, schaltete er sich vor zwei Jahren in die Debatte ein. Heute sitzt er als liberaler oberster Scheich der Azhar, von der Regierung eingesetzt, am Schalthebel der Diskussion der islamischen Rechtsgelehrten zum Thema. Das ist ein entscheidender Vorteil für den heutigen Gesundheitsminister.

Doch alle GegnerInnen der Beschneidung sind sich einig, daß mit der Ankündigung des Gesundheitsministers bei weitem nicht alles getan ist. Der Kampf gegen diese Praxis hängt vor allem am Bildungsstand der Familie. Die Gleichung ist einfach: Je gebildeter, desto größer die Abneigung gegen die Verstümmelungsoperation. Ägyptische Feldstudien haben ergeben, daß die wenigen Frauen mit Gymnasialabschluß seltener beschnitten werden. Analphabetinnen jedoch, und das ist der überwiegende Teil der Frauen, vor allem auf dem Land, haben fast alle das schmerzhafte Trauma erlitten. Doch ob Analphabetin oder Hochschulabsolventin, besonders sensibel reagieren die ÄgypterInnen auf jegliche offene Einmischung zum Thema von außen. Für besondere Furore sorgte ein zur damaligen Weltbevölkerungskonferenz ausgestrahlter Bericht des US-Fernsehsenders CNN. Der Fernsehbeitrag zeigte eine blutige Beschneidungsszene unter dem Schreien des Mädchens. Man wolle das Image Ägyptens zerstören, lautete darauf die verärgerte Reaktion. So wurde die Frauenbeschneidung schnell zu so etwas wie einem national-islamischen Erbstück, das es gegen jegliche Einmischung von außen zu verteidigen galt. Eine Tatsache, die den ägyptischen BeschneidungsgegnerInnen ihre Arbeit noch schwerer machte.

Übrigens, die Ägypterin, die damals die Beschneidung dem Team von CNN vermittelte, muß sich nun vor einem ägyptischen Gericht verantworten. Ein Anwalt hatte im Namen der Allgemeinheit eine Schadenersatzklage über 250 Millionen Dollar gegen sie und den Sender erhoben. Das Geld will er Entwicklungs- und Frauenprojekten zur Verfügung stellen. Der Prozeß beginnt diesen Sonnabend.

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