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Grigoris und die gehäutete Katze Von Ralf Sotscheck

Es ist jeden Sommer das gleiche: Am Anfang ist man noch nicht auf der Hut. Man denkt noch gar nicht an Urlaub und rechnet nicht damit, daß andere schon von einer Griechenlandreise zurück sein könnten.

Dermot und Louise sind recht braungebrannt, das hätte mich stutzig machen müssen. „Zwei Wochen Kreta“, sagt Dermot, „es war einfach spitze.“ Und dann kommt der böse Satz, der einem den Angstschweiß in die Achselhöhlen treibt: „Komm doch mal auf ein Glas Wein rum, dann zeigen wir dir die Dias.“ Nur Sadisten machen Dias, weil sie per Fernbedienung dann die Sehgeschwindigkeit bestimmen können.

Elf Tage lang habe ich Ausreden, die nicht zu widerlegen sind: Geburtstagsfeiern, Kindstaufen, Kochkurse, Verwandtenbesuche. Dann stürzt Nordirland unverhofft in die Krise – fünf Tage unterwegs, weit weg von irgendwelchen Dias. Danach aber bin ich fällig. Dermot hat einen neuen Projektor mit Rundkassette und schallgedämpften Vierganggebläse. „Gib mir doch die Fernbedienung, ihr kennt die Bilder doch schon“, unternehme ich einen letzten, verzweifelten Versuch, das Leiden zu verkürzen. Dermot lacht hämisch über mein durchsichtiges Manöver. „In die Fernbedienung ist ein Leuchtpfeil eingebaut“, sagt er, „damit kann ich dir die Dias besser erklären.“

Das Licht geht aus, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Dermot und Louise blickten von ihrem Hotelzimmer direkt auf den kleinen Fischereihafen, was sie durch 28 Dias belegen können. „Das kleine Boot da hinten gehört Grigoris, dem Wirt von der Taverne, wo wir fast jeden Abend verbracht haben“, erklärt Dermot. „Er hat uns jedesmal persönlich begrüßt, auch wenn der Laden noch so voll war. Er macht die besten Langusten der ganzen Insel.“ Wie man auf dem nächsten Dia sieht. Und auf dem übernächsten und überübernächsten. „Wir haben die erste Woche jeden Abend Langusten gegessen“, sagt Louise. Und sie jedesmal vor dem Verspeisen fotografiert.

Plötzlich ist es dunkel. Die Birne des neuen Projektors ist hinüber, es gibt also doch einen Gott. Nein, Irrtum: Dermot hat eine Ersatzbirne, was bei einem Iren auf eine zutiefst pessimistische Lebenseinstellung hindeutet. Da ist wieder der Leuchtpfeil: Louise im Wasser, Dermot am Strand, Dermot und Louise in der Taverne: „Falls du dich wunderst, wer das Foto gemacht hat“, sagt Dermot, „das war Grigoris. Ein unheimlich netter Kerl.“ Es ist mir vollkommen schnuppe, wer das Foto oder die 150, die noch folgen, gemacht hat. Durch gezielte Zwischenfragen testet Louise, ob ich aufgepaßt habe oder etwa schon eingenickt bin. Ich muß immerfort an die Kollegin Jan Moir vom Observer denken, die geschrieben hat, es sei ein schwerer Verstoß gegen die Etikette, bei einer Diavorführung zu sagen, was man denkt. Es wäre das gleiche, als wenn man stolzen Eltern erklärte, ihr Neugeborenes sehe aus wie eine gehäutete Katze.

Und dann kommt endlich Grigoris, ich wäre vor Neugierde fast schon geplatzt. Grigoris vor der Taverne, Grigoris in der Taverne, Grigoris mit Langusten, Grigoris mit einer Flasche Retsina. „Da winkt uns Grigoris zum Abschied zu“, sagt Dermot nach drei qualvollen Stunden. Tschüß, Grigoris, und fahr zur Hölle. Aber nimm Dermot und Louise mit.

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