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„Imker gibt's hier doch nicht“

Von Bienen und Bäumen: Hamburgs einzigartiger stadtökologischer Lehrpfad führt durch Harburg. Ein behaglicher Spaziergang  ■ von Philip Banse

Rot leuchtet der Kopf des Mannes unter dem Strohhut. Nachhilfe in Stadt-Biologie lehnt er ab. „Nee! Der Einheimische kümmert sich nicht darum. Man weiß einfach schon alles“, sagt er und öffnet seine dritte Holsten-Dose. Was der füllige Mann im Hawaii-Hemd nicht weiß: Er sitzt direkt an der Start- und Ziellinie des stadtökologischen Lehrpfades am Harburger Rathausplatz. Neben ihm auf der Bank schlürft im rosa Sommerhemdchen Ingrid Büsch ihr Mineralwasser. Sie ist alte Harburgerin und hat schon einige der 18 Infotafeln des in Hamburg einzigartigen Info-Rundgangs gelesen, die seit Mai ökologische Zusammenhänge unter den Extrembedingungen der Stadt bewußt machen sollen. Michael Ulrich, Leiter des Bezirksamts Harburg, hofft, so „die Bereitschaft des einzelnen, Verantwortung für unsere Umwelt zu übernehmen“, zu stärken.

„Hat was gebracht“, ist Ingrid Büsch überzeugt, obwohl sie Daten sofort wieder vergesse. Ihr Banknachbar fällt ihr ins Wort. „Was soll'n denn die ganzen Vögel, die in der Stadt rumstehen?“ Die Vögel sind Schmetterlinge. Eingebrannt in Holzpflöcke sollen sie dafür sorgen, daß Öko-Flaneure aus Hamburg und anderswo auf dem Eineinhalbstunden-Rundgang durch „ritterliche Lustgärten“, vorbei an „dekorativen Blumenkübeln“ und „alten Bäumen“ nicht vom rechten Lehrpfad abweichen.

Kaum jemand scheint jedoch planmäßig die idyllische Studienrunde von Start bis Ziel zu drehen. Eher zufällig wecken Kleinigkeiten Aufmerksamkeit. Ein hohler Baum hat Harald Clausen soweit animiert, daß der 56jährige die geräumige Vitrine der ersten Station näher unter die Lupe nimmt: „Wildbienenbau“ steht dort geschrieben. „Von Bienen verstehe ich nichts“, sagt er und entdeckt noch mehr in dem skurrilen Glaskasten. Neben einem Glas „Echtem Deutschem Honig“ und einigen Imkerutensilien macht ihn eine vergilbte Ausgabe des „Deutschen Bienen Journals“, Heft Mai 95, stutzig. „Imker gibt's doch hier gar nicht.“ Auf einer Tafel wünscht man den „Lieben Mitbürgern und Mitbürgerinnen“ „viel Spaß bei der Entdeckungsreise durch Harburg“. Vergangenen Dienstag machten sich die Adressaten allerdings rar. Trotz Sonne und Sommerwind. „Bleiben ja wenig stehen“, sagt Herr Clasen und geht.

Die ersten fünf Stationen zeigen durch Beton und Auto „zurückgedrängte Natur“: Auf einer Tiefgarage stehen sechs mächtige und „dekorative Blumenkübel“, weil Bäume hier nicht anwachsen, es aber trotzdem grün sein soll. 20 Meter weiter halten beindicke Balken Efeu und Kirschpflaume an einer Hauswand. Eine poppige Tafel erläutert die Vorteile des „vertikalen Gartens“: Im Sommer kühl, im Winter warm, und Sauerstoff produziert er das ganze Jahr. Eine Passantin: „Noch mehr Sauerstoff! Sehr interessant.“ Die Routenkarte auf jedem Schild ist winzig. Halb so wild – Station vier ist schon in Sicht. Einer von 30.000 Harburger Straßenbäumen klagt sein Leid: Öl, Benzin, Streusalz und zu schnell abfließendes Wasser machen ihm das Leben schwer. Dabei ist er doch so wichtig! Als Schattenspender, Staubfänger und, na klar, Sauerstoffmaschine.

Als sich der Pflaster-Pfad nach den ersten 150 Metern mit hoher Info-Dichte bergauf in den pitoresken alten Friedhof schlängelt, wittert der Wanderer hinter jedem Busch das blaugrüne Hinweisschild: „Achtung, Nischennatur!“ Und tatsächlich. Pflasterritzen, Mauerspalten, „alte Bäume“: Paradiese der Kriech- und Kleintierwelt, die das „biologische Gleichgewicht stabilisieren“. Auf dem Friedhof und dem nachfolgenden Außenmühlteich halten sich Gestaltungszwang und Wucherdrang die Waage.

Behaglich spaziert der Stadtmensch an alten Grabplatten vorbei, die überall aus dem hohen Gras lugen, hinunter zum aufgestauten Außenühlbach. Und doch: In der Sphäre der „Gestalteten Natur“ müsse der Mensch regulieren, steht auf Tafel Nummer sieben, die auch Ingrid Büsch gelesen hat. „Sauerstoffmangel im Teich“ sei das Problem, erinnert sie sich.

Von den „Naturgärten der Ökologiebewegung“ bis zum „ritterlichen Lustgarten des Barock“ – im Gartenmuseum, einer Freiluft-Kollektion verschiedener Gartentypen, erschließt sich dem Lustwandler der „Wandel des Naturverständisses“. Es duftet und lärmt, weil die „Lärmschutzwand“, früher „Hecke“, den Autobahnzubringer auch nicht viel schalldichter macht. Hier, bei Station 13, ist ohne Stadtplan Schluß. Eigentlich kämen jetzt noch die Feuchtwiesen im Göhlbachtal, Schwerpunkt „Genutzte Natur“. Doch Harald Clausen hat es geahnt: „Irgenwann kommen die Vandalierer.“ Die waren offenbar schon da, Pfeile sind keine mehr zu entdecken. Monika Uhlmann vom Naturschutzreferat des Bezirks Harburg ist das neu: „Danke für den Tip.“

Dabei sei die Resonanz der Harburger auf ihre Öko-Meile gut, sagt sie. Obwohl sie noch keine „Dankesschreiben“ bekommen habe, sei „sobald wie möglich“ die Erweiterung des Rundgangs um 14 Stationen geplant. „Geldverschwendung“, mault der Mann im Hawaii-Hemd. „Ökosponsoring“, freut sich Uhlmann. Firmenspenden sollen die neuen Schilder und Pfeile finanzieren. Auch das paßt dem renitenten Harburger nicht: „In den Alpen ist das okay, da kann man sich verlaufen. Hier brauchen wir keine Pfeile!“

Infos: Garten- und Friedhofsabteilung/Naturschutzreferat des Bezirksamtes Harburg, Harburger Rathauspassage 2, 2. Stock, Zimmer 202

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