Banden „in erheblicher Weise geschwächt“

■ Polizeipräsident sieht „Durchbruch“ bei Bekämpfung der Gewaltkriminalität unter Vietnamesen. Bisher wurden 29 Haftbefehle gegen Tatverdächtige erlassen

Bei der Aufklärung der Gewaltkriminalität im Milieu des illegalen Zigarettenhandels in Berlin ist den Ermittlern nach Angaben von Polizeipräsident Hagen Saberschinsky ein „deutlicher Durchbruch“ gelungen. Wie Saberschinksy vor der Presse mitteilte, wurden in den vergangenen Wochen insgesamt 29 Haftbefehle gegen Vietnamesen vollstreckt, die des Mordes, versuchten Mordes, erpresserischen Menschenraubs, unbefugten Waffenbesitzes und anderer Delikte verdächtigt werden. Er sei zuversichtlich, daß es weitere Festnahmen geben werde. Man habe die rivalisierenden Zigarettenhändlerbanden „Ngoc Thiem“ und „Quang Binh“ „in erheblicher Weise geschwächt“.

Seit Ende 1992 sind in Ostdeutschland 74 Vietnamesen getötet worden, davon allein 35 in Berlin.

Saberschinsky führte die Erfolge der Ermittler auf eine verstärkte Zusammenarbeit von Bundeskriminalamt (BKA), Zoll, Bundesgrenzschutz und den Polizeibehörden der Länder zurück. Die Notwendigkeit einer besseren Kooperation sei nach dem sechsfachen Mord an Vietnamesen am 12. Mai und nach dem Dreifachmord wenig später deutlich geworden. Um den illegalen Zigarettenhandel als Ursache der Gewaltkriminalität zu unterbinden, soll nach Angaben des Polizeipräsidenten ein bundesweiter elektronischer Datenverbund die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden erleichtern. Außerdem soll ein Verbindungsmann des BKA nach Hanoi geschickt werden. Die im Frühjahr 1995 gebildete polizeiliche Ermittlungsgruppe „Vietnam“ sei inzwischen auf 35 Mitarbeiter erweitert worden.

Nach den Erkenntnissen der Ermittler gibt es allein in Berlin rund 1.200 Standplätze, an denen Vietnamesen unverzollte Zigaretten verkaufen. Als illegale Händler verdingen sich rund 10.000 Vietnamesen, bei denen es sich laut Saberschinsky zumeist um Asylbewerber oder illegal eingereiste Menschen handelt. Unter Androhung schwerster Repressalien würden Banden von den Händlern pro Standplatz bis zu 14.000 Mark monatlich eintreiben. Eine spezielle Arbeitsgruppe habe seit dem vergangenen Jahr bei 10.000 Einsätzen rund 37 Millionen Zigaretten und Verkaufserlöse von etwa 450.000 Mark beschlagnahmt.

Die unverzollten Zigaretten stammen laut Saberschinsky aus der legalen Produktion von Tabakfirmen. Der Transport der Ware aus dem westlichen Ausland durch die Bundesrepublik nach Osteuropa liege in der Hand von Deutschen, Russen, Schweizern und Polen. Von Osteuropa aus würden die Zigaretten dann unverzollt wieder nach Deutschland geschmuggelt. Der Zoll schätzt den jährlichen Steuerausfall durch diese Geschäfte auf zwei Milliarden Mark. Die mehreren hundert Millionen Mark, die von vietnamesischen Banden einbehalten werden, gelangen zum Teil über Geldkuriere bis nach Vietnam. Bei den seit 1992 verzeichneten blutigen Zwischenfällen in Berlin kamen nach Polizeiangaben in 85 Fällen Schußwaffen zum Einsatz. AFP