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Kanther fürchtet die Türkei in der BRD

■ Während in der Türkei politische Gefangene hungern, gehen die Anschläge in Deutschland weiter. Innenminister prüft weitere Verbote türkischer Gruppen. Kinkel rafft sich zu diplomatischer Note auf

Berlin (taz) – Angesichts der sich zuspitzenden Lage in den türkischen Gefängnissen rechnen Sicherheitsbehörden sowie türkische und kurdische Organisationen auch mit neuen Anschlägen auf türkische Einrichtungen in Deutschland. Allein in der Nacht zum Freitag waren in mehreren Städten auf Geschäfte und Imbißstände Brandanschläge verübt worden. Verletzt wurde niemand. Im Gegensatz zu früheren Anschlägen vermutet die Polizei nicht die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK, sondern andere linksextremistische Organisationen hinter den Anschlägen. Infrage kommen demnach die Türkische Marxistische Partei/Marxisten-Lenisten (TKP/ML) und die Dev Sol.

Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU), sagte gestern, er wolle prüfen, ob „weitere Verbote extremistischer türkischer Organisationen nötig“ seien. Die Bundesrepublik werde ein Übergreifen des „innerstaatlichen“ türkischen Konflikts in die Bundesrepublik nicht dulden. Unterdessen schrieb Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) einen Brief an seine türkische Kollegin Tansu Çiller. Er erinnert die türkische Regierung an ihre Zusage vom 9. Juli dieses Jahres, für bessere Haftbedingungen zu sorgen.

Diese diplomatische Note empfinden die in Deutschland lebenden türkischen Gruppen als zu schwach. „Wie viele Gefangene müssen noch sterben, bis die türkischen Staatsorgane eine Lösung gefunden haben?“ fragen GDF (Förderation der Immigrantenvereine aus der Türkei), Navend (Kurdisches Informations- und Dokumentationszentrum) und Tüday (Solidaritätsverein für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei). Die Gruppen fordern den türkischen Justizminister Kazan auf, den Forderungen der Gefangenen nachzukommen „und grundlegenden humanitären und demokratischen Rechten Beachtung zu schenken“.

Von seiten der SPD meldete sich Freimut Duve, Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages, zu Wort. Er hob hervor, daß derzeit nicht nur „der kurdische Anspruch auf Eigenständigkeit“ in Deutschland mobilisiert werde, jetzt zeigten auch die türkischen Gruppen des extremistischen Protestes ihre „Operationsfähigkeit“. Dies gefährde den inneren Frieden der Bundesrepublik. Freimut Duve fordert eine deutsch-türkische Konferenz auf Regierungsebene. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie verlangt, die Bundesregierung möge eine Art „Tibet-Erklärung zu den eklatanten Menschenrechtsverstößen“ in der Türkei und im kurdischen Teil des Landes abgeben.

Der „Rat türkischer Staatsbürger“ in Deutschland fordert wegen der Anschläge ein höheres Engagement der Polizei. Dies wurde von Herman Lutz, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), zurückgewiesen. Die Polizei sei nicht in der Lage, TürkInnen umfassenden Schutz zu gewährleisten, sagte er. Lutz bewertet es als „durchaus positiv“, daß türkische Einrichtungen „selbst in kleineren Städten völlig integriert“ seien.

Amnesty international (ai) kritisierte in einem offenen Brief an den türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan die dortigen Haftbedingungen. Diese seien durch systematische Mißhandlungen, Folter und mangelnde medizinische Versorgung geprägt. Annette Rogalla

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