piwik no script img

„Nie der Sachsenstein!“

■ ... geiferte Fritz Mackensen, als Bernhard Hoetger aus seinem Werk kein Sieges- sondern ein Mahnmal machte. Nächstes Jahr wird der Worpsweder Stein 75. Er zerfällt

E

in „Siegesmal mit Heldenhain“ für die ruhmreichen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges sollte es werden. So wünschte sich Fritz Mackensen, Mitbegründer der Künstlerkolonie Worpswede, das Denkmal, das heute als Niedersachsenstein auf dem Weyerberg, der höchsten Erhebung Worpswedes, bekannt ist. Aus einem dem Licht entgegenschwebenden Jüngling, wie er Bernhard Hoetger – ihm wurde der Bauauftrag zuteil – erst vorgeschwebt war, wurde nichts. Die nationale Euphorie, die auch Künstler wie Hoetger zu Ausbruch des Krieges ergriffen hatte, wich bald. Als der Krieg verloren war, wurde aus dem Siegesmal ein Mahnmal für den Frieden, aus dem Lichtbringer ein stilisierter Adler. „Ein Vogel, der die Flügel ausbreitet und sich zur Sonne erhebt“, beschrieb Hoetger sein Werk.

Nächstes Jahr wird der Stein 75 – und so fühlt er sich auch. „Ein Stein braucht Hilfe! – Der Niedersachsenstein droht zu verfallen“, sorgt sich die Stiftung Worpswede. Im Bericht des Denkmalpflegers wird die desolate Lage des Backstein-Werkes auf den Punkt gebracht: „Die Gedenkstätte zeigt in Teilbereichen Ziegelsteinaufbrüche im Mauerverbund sowie Oberflächenabplatzungen von einzelnen Ziegelsteinen in Stärken bis 3 cm. (...) Durch die Abrißfugen konnte ungehindert Feuchtigkeit in das Bauwerk eindringen und führte zu Wandaufbrüchen.“

Dem will die Stiftung nun abhelfen. 300.000 Mark würde eine umfassende Sanierung kosten. Käme die Hälfte der Summe zusammen, wäre man schon zufrieden. 20-30.000 Mark will die Stiftung – eine finanzkräftige Vereinigung „angesehener Bürgerinnen und Bürger Worpswedes“ – selbst aufbringen, um die 50.000 Mark sollen durch Spenden aufgetrieben werden, weitere 60.000 Mark erhofft man sich aus öffentlichen Mitteln. Drei Achtel der Einnahmen aus der alljährlichen Bürgerparktombola werden eh nach Worpswede überwiesen. In den sechziger Jahren war es noch der gesamte Gewinn. Damals wurde dem Weyerberg der Sand abgegraben, um ihn zu Geld zu machen. Das konnte die Stiftung, 1957 ins Leben gerufen, schließlich verhindern. Der Niedersachsenstein nebst umliegender Flächen gehört der Stiftung Worpswede, eine privartrechtliche Organisation, die mithin auch für den Stein verantwortlich ist. Hans Ganten, Vorsitzender der Stiftung, wollte schon Worpswede und das massige Monument der „Expo 2000“ als Sonderstandort anzudienen, um an zusätzliche Mittel zu kommen. Doch Hannover winkte bloß ab.

Jetzt muß die Stiftung, die sich auch um den Erhalt des Barkenhoffs verdient gemacht hat, andere Wege gehen. Einnahmen aus mehreren Veranstaltungen im August und September sollen – bei Kaffee und Kuchen, Folklore und Klassik – dem angeschlagenen Hoetger-Bau zugutekommen. „Hoetger verwendete immer Steine, die Ausschuß waren“, sagt Birgit Nachtwey, Kunsthistorikerin und Stiftungs-Mitglied. Die 2. Wahl-Ziegel sind besonders witterungsanfällig. Nachtwey kennt auch Leute, die gar nichts dagegen hätten, wenn sich die Restaurierung des düsteren Denkmals auf dem Weyerberg nicht finanzieren ließe: „Laßt das Ding doch zusammenbrechen!“ Doch das ficht die BewahrerInnen des „einzig erhaltenen expressionistischen Denkmals in Deutschland“ (Nachtwey) natürlich nicht an. Genauso wenig, wie Bernhard Hoetger sich den Drohungen Mackensens beugte, als der ob des mangelnden patriotischen Eifers Hoetgers Zeter und Mordio schrie und „Nie der Sachsenstein! Nieder Sachsenstein!“. Vorübergehend wurde Hoetger sogar die Baugenehmigung entzogen. Doch der hatte sich ein für allemal dagegen entschieden, ein militaristisches Loblied in Backstein zu singen. Der Kopf des Adlers, der das Ehrenmal krönt, läßt sich, so Birgit Nachtwey als Ausdruck des Befreiungs-, des Sehnsuchtsgedankens interpretieren. Hinzu kommt die Hoetger-typische, mystische Symbolik, die viel Spielraum zur Auslegung läßt: Fruchtbarkeits- und Auferstehungs-Ornamente, die auch nationalsozialistische Ideologen problemlos vereinnahmen konnten, während sie andere Hoetger-Bauten wie die Böttcherstraße genauso entschieden ablehnten. Akute Gefahr, daß der Stein den TouristInnen am beliebten Ausblickspunkt auf dem Weyerberg über dem Kopf zusammenbricht, besteht vorerst nicht, doch „der Sockel baucht schon aus“, sagt Hans Ganten. Und dann wird der Bau noch von Urin und Graffiti bedrängt. Kein schöner Anblick für die Expo-Klientel wäre das gewesen, falls nicht bald Rettung naht. Alexander Musik

Veranstaltungen am Niedersachsenstein:

10.8. Folklore und Lieder (Zigeunerjazz, Klezmer-Musik) 20 Uhr; 24.8. Konzert mit dem „Quartetto Giocoso“, 20 Uhr; 7.9. Niedersachsenstein-Fest, ab 15 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen