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■ StandbildAuswendig gelernte Balz

„Sommer sucht Sprosse“, Sa., 17 Uhr, SAT.1

Fünfzig junge Männer tanzen, klatschen und johlen fast ohne Pause. Die zu diesem Zeitpunkt einzige Frau außer der Moderatorin sagt, daß sie Nacktschnecken nicht mag und meint damit mangelnde männliche Brustbehaarung. Daraufhin verlassen rund 15 brusthaarlose Männer die Bühne. Später ertastet die Frau mit verbundenen Augen den ihrer Meinung nach knackigsten Hintern der letzten vier Teilnehmer. Zuvor hat sie beteuert, daß sie durchaus Wert auf ein wenig Bildung lege – woraufhin eine Handvoll Herren freiwillig abtreten. In der zweiten Runde, als umgekehrt fünfzig Frauen nur einem Mann gegenüberstehen, geht es dagegen nur noch um dessen anatomische Präferenzen: „Hochgebirge“ oder „Flachland“. „Handvoll“ sagt der Kandidat spontan, muß sich dann aber für einen der vorgegebenen Begriffe entscheiden.

Die Balzrituale der Menschen waren früher eine komplexe Angelegenheit, die Generationen verzweifelter Lyriker zu schwelgerischen Versen hinriß. Erst seit der Single als gesellschaftliches Phänomen gilt, seit die Werbung und damit auch deren populärste Träger, die Privatsender, sie als Zielgruppe entdeckt haben, wird aus der Balz endlich ein Spiel: mit festen Regeln, Gewinnern, Verlierern und zwei ModeratorInnen, die Sebastian und Nadine heißen. Das läuft wie geschmiert: Alle 102 geladenen Singles wußten in jeder Sekunde genau, was sie zu tun haben. Auch die Sprüche, mit denen sich die KandidatInnen anbiederten, waren auswendig gelernt, wie in „Herzblatt“, so daß Nadine nachhelfen konnte, wenn jemand was vergaß. Vorbildliche Vorarbeit also, aber um zu sehen, wie es geht, brauchte man bei SAT.1 schließlich nur MTV zu schauen, wo das Format herkommt und „Singled Out“ heißt.

Was diese jungen Menschen dazu treibt, Teig zu kneten und dabei lustvoll zu stöhnen, Limbo zu tanzen und sich verkniffen devot zu geben, erklärt sich wohl kaum allein aus dem Hauptgewinn für nur zwei von ihnen: eine Reise nach Israel und, natürlich, ein Partner. Ist das Fernsehen hier nicht vielmehr selbst der Markt der Selbstdarstellung vor dem Single-Publikum zu Hause? Führt die 0190-Hotline aus dem Werbeblock womöglich direkt zu ihnen? Das würde die Sache immerhin noch weiter vereinfachen und ihrem seuchenhaften Single-Leben ein Ende machen. Und damit auch solchen Shows. Oliver Rahayel

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