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Diese ungerechte Welt

Erfolgreichste deutsche Sportlerin aller Zeiten: Birgit Fischer paddelt Richtung fünftes Olympia-Gold  ■ Von Thomas Winkler

Wenn alle vier Jahre die nationalen Medaillenzähler auf den Plan treten, rücken plötzlich auch die sogenannten Randsportarten ins mediale Blickfeld. Und Birgit Fischer hat reichlich Gelegenheit geboten, daß der Blick hängen blieb. Es begann 1980 in Moskau: Als 18jähre gewann sie olympisches Gold im Kajak-Einer.

21 WM-Titel hat die Frau aus Kleinmachnow seit damals gewonnen, dazu insgesamt viermal Gold und zweimal Silber bei drei Olympischen Spielen. Wenn heute auf dem Lake Lanier die Vorläufe der Kanu-Wettbewerbe beginnen, gedenkt sie ihre Sammlung noch einmal zu vergrößern. Sie wird im Einer, im Vierer und wegen blendender Form nun auch im Kajak- Zweier starten. Und „wenn ich an den Start gehe“, sagt die alleinerziehende Mutter, „muß ich eine Chance haben, Gold zu gewinnen.“ Mindestens acht Rennen kommen in den nächsten Tagen auf sie zu. Aber fehlendes Selbstbewußtsein war nie ihr Problem.

Ihre Titelsammlung wäre vielleicht noch größer, hätte nicht die Politik ihren Auftritt in Los Angeles verhindert: „Am ich es aus der Zeitung erfuhr, habe ich meine Sachen gepackt und bin nach Hause zu meinen Eltern gefahren. Auf dem Bahnhof habe ich ein paar Leute getroffen und da haben wir den Zug wegfahren lassen und uns diversen Alkohol hintergekippt.“

Wieder vier Jahre später in Seoul holte sie zweimal Gold, aber wurde als klare Favoritin nur Zweite im Einer, was sie heute noch wurmt. Danach hörte sie auf, machte drei Jahre „überhaupt keinen Sport mehr“. Aber 1991 kam „plötzlich die Lust wieder. Das Studium war beendet, die Kinder aus dem Windelalter raus, und „Olympia stand vor der Tür.“ Nur ein Jahr vor Barcelona begann sie mit ernsthaftem Training: „Niemand hätte mit mir ganz vorne gerechnet.“ 500 Meter später wurde zum ersten Mal ihr zu Ehren die bundesdeutsche Hymne gespielt.

Damals bekam sie einen kleinen Teil vom Aufmerksamkeitskuchen ab. Das hielt an, bis die Nation, die gar nicht ihre ist, die nächste Medaille zu feiern hatte. „Die Welt war nie gerecht, und sie wird auch in Zukunft nicht gerecht sein“, sagt sie. Sie kann zwar mit ihrem Sport nicht so viel verdienen, um sich anschließend zur Ruhe zu setzen, aber „man kommt mit dem Geld über die Runden, es geht mir nicht schlecht. Acht Stunden arbeiten gehen kann ich nach der sportlichen Laufbahn immer noch.“

Warum gerade sie meist vorneweg paddelte, kann sie nicht erklären. Will sie nicht erklären. Zu DDR-Zeiten, meint Birgit Fischer, „haben wir gesünder gegessen“. Daß dem heute nicht mehr so ist, darauf führt sie ihre Mangelerscheinungen zurück. An Magnesium oder Eisen fehlt es ihr hin und wieder. Dagegen nimmt sie dann eine Pille, ganz normal „als ältere Sportlerin“. Nie war sie längere Zeit krank, nie ernsthaft verletzt. Nur mit der Schulter hat sie „nach 28 Jahren mit immer der gleichen Bewegung“ mal Probleme.

Doch nach der Wende entdeckte sie die Anarchie. „Was da an Pillen und Präparaten auf mich zukam, hatte ich mein Leben noch nicht gesehen. Daß man das ganze Zeug zum Sporttreiben brauchen soll, war mir völlig unbegreiflich.“ Weil sie immer schnell durchs Wasser gleitete, wurde Doping für sie nie zum Thema, sagt sie. Aber sie weiß auch nicht, „wie es Sportlern geht, die immer nur Zweite werden“. Sie hat es aufgegeben, die Kontrollen zu zählen, auf jeden Fall so viele, daß es ihr „manchmal auf den Wecker geht“. Natürlich war Doping auch in der DDR „kein Tabuthema“. Wer heute behauptet, sagt sie, „daß er ohne sein Wissen gedopt wurde, redet absoluten Quatsch. Daß da eine Trainingsgruppe angetreten ist und dann hat jeder was in die Hand gedrückt bekommen, kann ich mir nicht vorstellen.“

Man merkt, daß es sie beleidigt, wenn ihre Leistungen angezweifelt werden. Wenn sie nämlich gewinnt, dann gewinnt sie für sich. Das war „auch schon in der DDR so“. Und das Comeback 1991 war auch eine Herausforderung, sich selbst zu beweisen, daß es auch „zu den veränderten Bedingungen in einem anderen System“ geht.

34 ist sie jetzt. In dem Alter „macht man sich schon Gedanken“. Die sind unabhängig davon, ob sich in den nächsten Tagen weitere Goldmedaillen einfinden oder nicht. Aber noch weiß sie nicht, was sie nach Atlanta machen wird. Erstmal wohl weiterpaddeln, schließlich „fängt man nicht etwas Ungewisses an, wenn es nicht nötig ist“. Sie ist studierte Diplom-Sportlehrerin, aber den Beruf wird sie kaum ausüben. „Trainerin vielleicht“, am liebsten „irgendwas mit Sport“. „Kanufahren ist eben das“, sagt sie, „was ich kann und was mir Spaß macht“.

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