: Kinder der Revolution werden weniger
Jede Medaille, die Kuba im Feindesland Atlanta gewinnt, zählt doppelt: Besonders wichtig aber ist jenes Gold, das Fidel Castros Team im Baseball-Finale gegen die USA gewinnen soll ■ Aus Atlanta Matti Lieske
Dreieinhalb Stunden dauerte das Baseball-Match USA-Kuba bereits, als es sich am Ende des neunten Innings auf zwei Leute zuspitzte. Auge in Auge standen sich Kubas Pitcher Pedro Luis Lazo und US-Hitter Mark Kotsyas gegenüber. Da war die Sensation nur einen Schlag entfernt. Die USA hatten zwei Bases besetzt, Kotsyas aber auch schon zwei Strikes auf seinem Konto. Das Match stand 10:8 für Kuba. Würde Kotsyas ein weiteres Mal danebenschlagen, wäre Kuba wie erwartet Sieger dieses Matches. Gelänge ihm jedoch ein Home Run, hätten die jugendlichen College-Kids etwas geschafft, was ihn niemand zugetraut hatte: Sie hätten das beste Baseball-Team der Welt geschlagen, das nicht in den Major Leagues der USA spielt – ein Kunststück, das in 140 Spielen und seit fünf Jahren niemand mehr geschafft hat.
Doch manchmal ist die Sportwelt gerecht. Kotsyas schlug ein Luftloch, Kuba war Sieger. Es wäre auch ein bißchen viel gewesen, wenn jene Nation, die seit 37 Jahren einen schmutzigen Kleinkrieg auf allen Ebenen gegen den kleinen Nachbarn in der Karibik führt, nun auch noch im Baseball gewonnen hätte. Und das am selben Sonntag, an dem der von einer Entzündung im Knie geplagte Javier Sotomayor im Hochsprung an mickrigen 2,32 m scheiterte und nur 11. wurde. Eine solche Genugtuung hätte Senator Helms wahrhaftig nicht verdient gehabt.
Baseball, weltweit die viertmeist betriebene Sportart, ist der Nationalsport der Kubaner. Siege gegen die USA, deren Profiklubs dem Land in den letzten Jahren 16 Spitzenspieler abspenstig gemacht haben, sind natürlich besonders süß, vor allem in Atlanta. „Jede Medaille, die wir dort gewinnen, zählt doppelt für uns“, sagt Jesus Molina Hernandez, der Generalsekretär des kubanischen Leichtathletikverbandes, „weil es Olympia ist und in den Vereinigten Staaten.“
Vier Millionen Dollar kostet Kuba der Spaß, bei Olympia dabeizusein. 189 Athletinnen und Athleten versuchen, das Ergebnis von 1992 zu wiederholen. Damals holte man 31 Medaillen, darunter 14 goldene. Im Jahr 2004, träumt der unverwüstlich optimistische Molina, werde Kuba sogar 25 Goldmedaillen gewinnen. Doch die Bedingungen werden immer schwieriger. „Als die Sowjetunion zusammenbrach, haben wir unseren rechten Arm verloren“, sagt Rad-Trainer Roberto Millan. Um Geld zu beschaffen, dürfen inzwischen etliche Athleten private Sponsoren haben und deren Logos tragen. Vertrauenswürdige Baseballspieler, wie Omar Linares, der kubanische Maradona des Home Runs, nehmen an Schaukämpfen in Japan teil, und rund 600 kubanische Trainer arbeiten im Ausland. Einen großen Teil ihrer Einnahmen müssen sie natürlich an den heimatlichen Verband abliefern.
Offiziell Baseballspieler an die Major Leagues oder nach Japan auszuleihen, lehnt Kuba bisher ab. Alberto Juantorena schlägt statt dessen vor, ein kubanisches Team in den USA mitspielen zu lassen. „Dann habt ihr eine echte World Series“, sagt der Doppelolympiasieger von 1976. Viele Cracks wollen so lange jedoch nicht warten, und Fälle wie Omar Linares werden immer seltener. „Ich bin ein Kind der Revolution“, sagt Kubas größtes Sportidol nach Teofilo Stevenson, „ich spiele lieber für elf Millionen Menschen als für elf Millionen Dollar.“ Rolando Arrojo entschied sich anders, gab kurz vor Olympia den Verlockungen der Baseball-Agenten nach und setzte sich in die USA ab.
Der großartige Pitcher fehlt dem Olympiateam schmerzlich, wie das Spiel gegen die USA zeigte. Mit Arrojo hatten sie die USA bei der WM in Nicaragua 1994 mit 15:2 geschlagen. Damals hatte der Baseball-Funktionär Domingo Zabal gehöhnt: „Ein knappes Match“. Im Fulton County Stadium erwies sich das Werfen als Schwachpunkt des kubanischen Teams.
Mit zwei Home Runs in den ersten fünf Minuten durch Ulacia und Linares brachten die Kubaner die „USA, USA“-Rufe zum Verstummen, die hier zunächst noch lauter gedröhnt hatten als beim Turnen. Als aber im sechsten Inning Kuba auf 10:2 davonzog, ging ein Teil des Publikums frustriert nach Hause. Dann setzte sich Pitcher Omar Luis auf die Bank, und plötzlich waren die USA im Spiel. Punkt für Punkt kamen sie heran, und im achten Inning fühlte sich das wiederbelebte Publikum erstmals zum berüchtigten Tomahawk-Chop samt Indianergesang animiert, der sonst den Braves vorbehalten ist und seit langem Proteste bei „Native Americans“-Organisationen hervorruft.
Kuba wurde sichtlich nervös. Das Publikum befand sich inzwischen fast im Delirium, das Getöse war erheblich, am Ende waren es aber doch die Nerven des 20jährigen Kotsyas, die versagten. Es gilt fast als sicher, daß die beiden Teams am Freitag im Endspiel wieder aufeinandertreffen werden. Genauso sicher ist, daß Kuba bis dahin intensiv das Werfen üben wird.
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