: Für alle Rollen im Olymp geeignet
Der Kitsch-Konzeptualist Luigi Ontani zeigt in Frankfurt und München Allegorien zum Niedergang der Kunst ■ Von Andreas Strobl
Seine Fotografien erinnern an nachkolorierte Kitschpostkarten und ergänzen sich perfekt mit antiken Göttern, bunter Keramik oder den Faunen des Symbolismus. Luigi Ontanis Bilderwelt zitiert nicht nur alte Zeiten, sie wurde mittlerweile von jüngeren Künstlern nachgeahmt. Dabei entpuppt sich der italienische Exzentriker als einer der Väter der inszenierten Fotografie, als Onkel des smarten Jeff Koons. Kaum vorstellbar, daß Ontanis künstlerische Karriere in der nüchternen Kunst der siebziger Jahre begann, als die Selbstbefragung Teil von Performances und Konzeptualismus war. Schon damals inszenierte er Tableaux vivants nach Bildern der Kunstgeschichte. Im Zentrum eine androgyne, alterslose Gestalt: der narzißtische Künstler selbst, der in alle Rollen des Olymps schlüpft.
Trotz seiner Auftritte im legendären Performance-Raum The Kitchen in New York wurde Ontani erst zusammen mit der italienischen Transavanguardia Anfang der achtziger Jahre bekannt, als endlich wieder in opulenten Bildern erzählt werden durfte und die Italiener tief in die Mythenkiste griffen. Ontani malte in diesen Jahren tafelbildgroße Aquarelle, der Protagonist der Fotos verwandelte sich in zartkolorierte Hybride. Die Ausstellungen im Frankfurter Kunstverein und in der Münchner Villa Stuck präsentieren nun erstmals dieses Werk in seiner seltsamen Fülle, denn inzwischen wurden aus den Bildern auch Skulpturen, Masken und Möbel.
Seit einigen Jahren stattet Ontani ein Haus in seinem Geburtsort bei Bologna, das Villino RomAmoR, ganz im Sinne der Künstlervillen des 19. Jahrhunderts aus. Insofern hat er in dem Münchner Franz von Stuck einen Geistesverwandten gefunden, was sich nicht nur darin dokumentiert, daß er eine Reihe von dessen Bildern in Fotografien nachstellte. In den historischen Räumen der Villa Stuck finden auch seine Skulpturen einen angemessenen Rahmen. Das Flair des Stuckschen Größenwahns verbindet sich mit dem Traum vom Gesamtkunstwerk, den Ontani auch heute noch träumen will. Eros ist das Zentrum, um das seine Götterwelt kreist, und der Phallus regiert ungebrochen trotz aller Endzeitvisionen des Aids-Zeitalters. Es ist aber die stille Autopoetik eines hermaphroditischen Geistes und nicht der laute Sex, der die Medienwelt dominiert. Ontani vermittelt in München ein wenig von dieser eigenartigen Welt, er installierte im ehemaligen Schlafzimmer von Frau Stuck sein eigenes Bett. Das Villino bewohnt der Künstler mit seiner Schwester.
Nun galt Stuck lange genug als Inbegriff des Niedergangs der Kunst im Fin de siècle, so daß eine derartige Verwandtschaft gefährlich werden kann. Aber diese Gefahr scheint Ontani zu lieben, denn zum Kitsch, dem Kunsthandwerk im schlechten Sinne des Wortes, hat er eine fatale Affinität. Und er treibt sein Spiel gerne auf die Spitze. Das Abgegriffene der unendlich repetierten Kultur will Ontani unterlaufen, indem er es schlicht noch einmal wiederholt. Im Memorieren der Allegorien, dem Herunterleiern eines Gedichts nicht unähnlich, verfremdet sich der Ballast europäischer Kulturgeschichte. Ontanis Skulpturen und Bilder sind in allen Details Zi
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tat, auch Ready-made. Sie wollen gelesen werden wie ein offenes Buch und widersprechen darin den Theorien der Posthistoire. Aus den bekannten Geschichten entstehen neue. So zwingt er in einer Herme Nietzsche und Picassos Pferd aus Guernica, zwei antipodische Inbegriffe für das Leiden an der Menschheit, zu einem Bild zusammen. Im Katalog entfaltet sich die endlose Zeichnung einer Chimäre über acht Seiten hinweg – ein Wesen, dessen Köpfe an beiden Enden voneinander nichts wissen, eine Allegorie auf den Allegoriker.
Man könnte denken, daß diese historisierende Arbeit dem breiten Publikum Freude bereitet. Als Ontani in diesem Frühjahr jedoch einen Grillo auf einem öffentlichen Platz in Mailand aufstellen sollte, einen Kopffüßler, der sich aus Attributen und Anspielungen auf Mailänder Geschichte zusammensetzt, entfachte er einen Entrüstungssturm. In einem Referendum lehnte die überwältigende Mehrheit der Bürger diese unverschämte Kunst vehement ab, und das nicht nur, weil Ontani Manzonis Döschen mit Künstlerscheiße integrierte. Das merkwürdige Wesen, das den Kunstbetrachter so peinlich an die Welt der Gartenzwerge erinnert, stellt offensichtlich alle Vorstellungen des guten Geschmacks auf den Kopf.
Die Keramiken, die Glasskulpturen, die Holzschnitzereien, die er aus den fotografischen Inszenierungen in den letzten fünfzehn Jahren entwickelt hat, sind so schauerlich schön, daß dem modernegeübten Betrachter kalte Schauer über den Rücken laufen. Allerdings sucht sich Ontani für die Materialisierung seiner Phantasien zwischen Murano und Bali noch immer perfekte Handwerker. Insofern ist er Konzeptualist geblieben.
Es ist ihm gelungen, in seiner Kunstwelt aufzugehen, Leben und Kunst zu verbinden. Er ist Hermaphrodit und zugleich der dekadente Dandy in Schlangenlederschuhen und indischen Seidenanzügen, er ist Schauspieler und Selbstdarsteller in einer Person. Sein Exhibitionismus geht so weit, daß der Mensch Ontani verschwindet. Angesprochen auf mögliche Affinitäten zu Salvador Dali, läßt er als einzige Beziehung das Paradox als zentrale Kategorie seiner Kunst gelten. So sehr sich Ontani den Snobs und Dandys des 19. Jahrhunderts nähert, so sehr er in der Dekadenz und der Verfügbarkeit der Bilder schwelgt, er ist kein Spinner. Er beharrt darauf, daß im heutigen globalen Dorf Maskierung und Kostüm eine überaus wichtige Rolle spielen. Jeder Kunstgriff Ontanis ist voller Ironie. Aber es ist eben Ironie und keine zynische Distanz, ein heiliger Ernst, den er in seine Werke legen will. Das hört sich schauerhaft, zumindest hochgegriffen an, aber darunter tut es ein Ontani nicht.
Bis 6.8., Frankfurter Kunstverein; bis 6.10., Villa Stuck München; gemeinsamer Katalog erschienen in der Edition Stemmle
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