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Polens Ex-Innenminister Kiszczak freigesprochen

■ Ein Warschauer Gericht sah keine Tatbeteiligung bei der Tötung von sechs Kumpeln in Katowice nach Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981

Berlin (taz) – Gestern hat ein Warschauer Strafgericht den ehemaligen polnischen Innenminister, General Czeslaw Kiszczak (70), von dem Vorwurf freigesprochen, nach der Verhängung des Kriegsrechts am 13. 12. 1981 den Tod von sechs streikenden Bergleuten der Zeche „Wujek“ in Katowice verschuldet zu haben. Die Belegschaft hatte, sobald die Panzer rollten, ihren Betrieb besetzt und verlangt, daß der Kriegszustand wieder aufgehoben werde. Am 16. Dezember stürmten „Pluton“-Truppen, eine Spezialeinheit des Innenministeriums, das Werk, töteten die Kumpel und verletzten 26 ihrer Kollegen auf einer Nachbarzeche.

Die Anklage warf Kiszczak vor, in einem „Chiffregramm“ vom 13. Dezember die Anweisung, wonach von der Waffe nur nach ausdrücklicher Erlaubnis der obersten militärischen Kriegsrechtsbehörde Gebrauch zu machen sei, nicht weitergegeben zu haben. Ferner habe es der General versäumt, darauf hinzuweisen, daß Spezialeinheiten nur hilfsweise heranzuziehen seien, nämlich dann, wenn die Kräfte der örtlichen Miliz (gleich Polizei) sich als unzureichend erwiesen. Verwandte der getöteten Bergleute, die als Nebenkläger auftraten, hoben außerdem die Rechtswidrigkeit der Kriegsrechts-Proklamation hervor, da sie nicht mit Zustimmung der Legislative erfolgt sei.

Kiszczak, der den Prozeß als Racheaktion bezeichnete, verteidigte sich mit dem Hinweis, die örtlichen Sicherheitskräfte hätten damals trotz eindeutiger Befehlslage ihre Kompetenz überschritten und seien allein für das Blutbad verantwortlich. Eine ähnliche Ansicht hatte General Jaruzelski, der damalige Partei- und Staatschef, bereits in seinen Memoiren vertreten. Das Gericht ist nun im Grundsatz der Argumentation des ehemaligen Innenministers gefolgt.

Der Prozeß hatte in Polen sehr kontroverse Reaktionen hervorgerufen, war doch Kiszczak einer der Promotoren des Runden Tisches und später einziger Vertreter der Regierungsseite bei den Verhandlungen mit der Solidarność-Opposition gewesen. Im Gefolge der Wahlen, die nach dem Runden Tisch abgehalten wurden, hatten die Realsozialisten die Macht in Polen verloren. Kiszczak, früher Chef der militärischen Abwehr im Verteidigungsministerium, war von Jaruzelski während der „Solidarność-Zeit“ ins Amt geholt worden. Dies mit der Absicht, die Sicherheitsapparate der Kontrolle der Betonköpfe mit dem Politbüroverantwortlichen Milewski an der Spitze zu entwinden. Der General hatte zum Zeitpunkt des Kriegsrechts noch keinen Überblick über die Seilschaften in seinem Ministerium. Kann sein, daß das Blutbad von Katowice auf eine Provokation der Hardliner zurückgegangen ist. Hierüber brachte der Prozeß allerdings keinerlei Aufklärung. C.S.

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