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Der Jedermann mit Laptop und Handy

■ Ein allegorischer Bilderbogen vor der Kulisse der historischen Speicherstadt: Die freie Theaterproduktion „Der Hamburger Jedermann“ als Festspielchen

Vor dem hanseatischen Geschäftssinn soll schon der Teufel kapituliert haben. Von der Seele, die ihm einst Hamburger Kaufleute für die Errichtung der Stadt versprochen hatten, bekam er kein Fünkchen zu sehen, worauf er der Stadt bei Teufelsbrück Schwefelgestank hinterlassend den Rücken kehrte. Diese Legende als allegorischen Bilderbogen zu vermarkten, lag auf der Hand.

An diese alte Story knüpft die freie Theaterproduktion „Der Hamburger Jedermann“ an. Mit knapp 100.000 Mark von der Kulturbehörde gefördert, hatte das von Michael Batz auf Hamburger Verhältnisse gedrehte und von Thomas Matschoß inszenierte Volksstück im Sommer 1994 Premiere. In geringfügigen Veränderungen – die Allegorie der Technologie steht nicht mehr im Zeichen französischer Atombombentests, sondern von BSE und Cyber-Gear – hat sich das Spektakel zu einem Festspielchen im stimmungsvollen Ambiente der Speicherstadt entwickelt. Als „aktuell und hanseatisch“ lobpreist Kultursenatorin Christina Weiss (parteilos) im Programmheft das Stück und träumt davon, daß die Zahl der Zuschauer „nach oben in Richtung Salzburger Niveau“ strebe. Trotz des jammervollen Sommers erwartet Hamburgs „Jedermann“ bis Ende August den 10.000. Besucher.

Die Bühne steht direkt an der Sandbrücke vor der Silhouette der 100 Jahre alten Klinkerspeicher am Kanal. Die 900 Klappstühle sind an diesem Samstag fast alle besetzt. An Würstchenbude und Bierausschank hat man sich für die gut eineinhalb Stunden bereits versorgt. Kurz nach 20 Uhr ist es Zeit für den Fleetenkieker, der in den Kanälen nach Brauchbarem stochert. Klar, daß er erst mal den Teufel aus dem Modder zieht, damit das Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes seinen Lauf nehmen kann.

Autor Michael Batz hat sich bei seiner Adaption des englischen Volksstücks und des Hoffmannsthalschen Moraldramas des Knittelverses befleißigt. Auch herzhaftes Schenkelklopfen ist nicht unerwünscht, wenn beispielsweise der Teufel im urzeitlichen Felldreß brachiale Slapsticknummern und groteske Sprünge hinlegt – „Bänderriß!“ kichert in der vorletzten Reihe ein Kerl in Freizeitkleidung.

Szenenapplaus ernten auch die sieben blauen Jungs und Mädels, die ihre Bierbüchsen zischen lassen und unisono rülpsen können. Das auf sächsisch vorgetragene „La Paloma“ des kleinen Matrosenchors wird zum ersten Höhepunkt des ansonsten streng dem Lokalkolorit verpflichteten Abends. Mit dem Auftritt des martialisch düsteren Todes kehrt wieder Aufmerksamkeit ein. Und Ruhe muß sein, denn die 14 Mitglieder des Hamburg Art Ensembles müssen sich unter freiem Himmel ohne technische Verstärkung verständlich machen, allen in der Nähe surrenden Kühlaggregaten und vorbeituckernden Ausflugsbarkassen zum Trotz. Andererseits quietschen plötzlich im Rücken des Publikums Reifen, man zuckt zusammen – „Der spinnt doch komplett“, straft eine Zuschauerin den Kulturbanausen im BMW ab. Aber der gehört zum Stück, denn das ist Jedermann mit Laptop und Handy. Aufatmen. Den Wagen hat übrigens ein örtlicher Autohändler gegen Erwähnung im Programm gütig bereitgestellt.

„Tabus sind da, um sie zu brechen, wo gibt's sonst noch freie Flächen?“ knitteln da die Immobilienhaie auf dem Theater, während ihre Vettern in der Realität der Speicherstadt bereits einen ersten gigantischen Büroklotz namens „Hanseatic Trade Center“ an der Kehrwiederspitze verpaßt haben. So plakativ dieser Jedermann mit starrem Blick aufs Geld der historischen Bausubstanz den Garaus machen will, so versöhnlich folkloristisch ist der Bilderbogen samt Hansepolitiker mit Elbseglermützchen oder einer auf einer güldenen Papp-Lyra plirrenden Allegorie der Kultur im Lorbeerkränzchen. Da dürfen sich die Hanseaten gemeint und geläutert fühlen, während die örtliche Tourismuszentrale bereits mit dem bunten und artig gesellschaftskritischen Event Städtereklame betreibt.

Da sich hier eine Art 70er-Jahre-Straßentheater-Ästhetik zum Familienspaß gemausert hat, bleibt nur noch abzuwarten, wann die unweit liegende Balduintreppe neben den bunten Hafenstraßenhäusern als Austragungsort für Freilichtspiele über Ereignisse der jüngeren Hamburger Vergangenheit entdeckt wird. Julia Kossmann

„Der Hamburger Jedermann“. Bis 11. August, Freihafen Hamburg, Auf dem Sande, Vorstellungen Freitag bis Sonntag, 20 Uhr, Info-Telefon: (040) 43 57 66

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