: Koka-Pflanzungen sollen bleiben
Zehntausende kolumbianische Bauern verteidigen den illegalen Anbau gegen Vernichtungskampagne. Obwohl eine Gewalteskalation droht, lehnt die Regierung Verhandlungen ab ■ Aus Bogotá Ralf Leonhard
An die 25.000 sind es in der Provinz Putumayo, rund 20.000 im Caquetá und fast 5.000 im Guaviare: Kolumbiens Kokabauern proben mit Aufmärschen, Besetzungen und Regionalstreiks den Aufstand gegen die Regierung. Die Stimmung ist gespannt, und bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften ist es bereits zum ersten Todesopfer gekommen. Letzten Montag verblutete der Koka- Bauer Alfonso Bonilla an einem Schenkeldurchschuß, der ihm die Arterie zerfetzt hatte. In der Gemeinde El Retorno, in der Provinz Guaviare, gab es 13 Verletzte. Nach einer Polizeiaktion in der Provinzhauptstadt San José gelten 20 Personen als verschwunden.
Die Bauern reagieren mit ihren Protesten auf eine Repressionskampagne gegen den Kokaanbau, wie sie Kolumbien noch nicht gesehen hat. Bislang galt das Land immer als Drehscheibe des Kokainhandels, nicht aber als großer Kokaproduzent. In den letzten Jahren aber hat der illegale Anbau des Strauchs, aus dem das Kokain gewonnen wird, sprunghaft zugenommen. Offizielle Schätzungen gehen von 40.000 Hektar aus; Experten in der Hauptstadt tippen auf eine mindestes dreimal so große Fläche. Kolumbien wäre damit nach Peru der zweitgrößte Kokaproduzent der Welt.
Im Mai wurde in den Anbaugebieten ein regionaler Ausnahmezustand verhängt, und nun sollen allerorts die illegalen Plantagen mit dem Pflanzengift Glifosfat besprüht werden. Außerdem wird seit neuestem der Handel mit den Chemikalien, die zur Verarbeitung der Koka gebraucht weden, streng kontrolliert. Da zu diesen Substanzen auch Zement und Benzin gehören, sind die wirtschaftlichen Auswirkungen beträchtlich. Die Bautätigkeit in den drei Provinzen ist praktisch ganz zum Erliegen gekommen.
Die verschärfte Gangart der Regierung hat viel mit dem Druck der USA zu tun. Die fordert von Kolumbien, bis Ende des Jahres 20.000 Hektar Koka zu vernichten – andernfalls würden die gegen Kolumbien bereits verhängten politischen und wirtschaftlichen Sanktionen aufrechterhalten und weiter verschärft werden. Washington hat dem kolumbianischen Präsidenten Ernesto Samper das US-Visum entzogen, weil er seinen Wahlkampfsieg 1994 mit Geldern des Kokainkartells von Cali finanziert haben soll. Durch diese weitgehend erhärteten Korruptionsvorwürfe ist Samper unter Druck geraten und muß sich den Vorgaben der US-Drogenpolitik unwidersprochen beugen.
Bislang hat die Regierung gegenüber den Kokabauern keinerlei Kompromißbereitschaft erkennen lassen. Präsident Samper, zur Zeit als Sprecher der Blockfreien Staaten auf Staatsbesuch in Frankreich, hat bei einer Fernsehansprache die Siedler lediglich dazu aufgefordert, von der illegalen Pflanze abzulassen. Als Alternative verwies er auf das staatliche Substitutionsprogramm PLANTE. Dieses Programm, das durch günstige Kredite und Beratung den Übergang von Koka- und Opiumkulturen zu legalen Anbauprodukten fördern soll, ist jedoch nach Ansicht der Bauern ein gründlicher Fehlschlag.
Mangels passierbarer Straßen zu den Märkten gibt es kein Produkt, das es mit der rentablen Koka aufnehmen kann. Selbst der Koka-Bauer Carlos Grajales, der täglich in einem Werbespot im Fernsehen verkündet, PLANTE sei ein Riesenerfolg, ist gründlich enttäuscht. Nicht nur, daß ihn die Kollegen und die Guerilla bedroht hätten, auch die Kreditbedingungen seien von der Bank nicht eingehalten worden. Statt ihm die versprochenen drei rückzahlungsfreien Jahre zu gewähren, forderte sie schon nach einem halben Jahr die erste Quote. „Welche Gewinne kann ich nach sechs Monaten haben?“ klagt er.
In der Provinz Guaviare sind bisher im Rahmen von PLANTE nicht mehr als 122 Kredite vergeben worden, davon kein einziger in der Gemeinde Miraflores, dem größten Koka-Anbaugebiet Kolumbiens. Über die 14.000 Einwohner von Miraflores hat die Armee, die dort seit der Verhängung des Ausnahmezustands das Regiment führt, einen Bann verhängt. Die Siedler sollen ins Landesinnere zurückkehren, wo sie herkamen.
Vollstrecken aber können die Militärs solche Maßnahmen kaum. Die kommunistischen „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC) kontrollieren einen Großteil der südöstlichen Provinzen, wo sie „Steuern“ auf das halbverarbeitete Kokain erheben. Trotz der Abgabepflicht genießen die Guerilleros unter den Bauern hohes Ansehen, weil sie im gesetzlosen Raum der Drogenproduktion für Ordnung sorgen.
Diese Guerillapräsenz aber verschärft den Konflikt zwischen Regierung und Kokabauern zusätzlich. Die Streitkräfte mutmaßen, daß die Protestaktionen mit von der Guerilla initiiert worden sind, und rechtfertigen damit auch die gewalttätige Repression. Sprecher der Koka-Bauern hingegen bestreiten, mit der Guerilla in Kontakt zu stehen.
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