: Politischer Mord in Algerien
Der französische Bischof Pierre Claverie wurde getötet, nachdem er zusammen mit Außenminister Hervé de Charette das Grab von sieben ermordeten Mönchen besucht hatte ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Erzbischof Pierre Claverie hat es kommen sehen: In seinem letzten Interview, das er einem kirchlichen Radiosender in Frankreich gab, sprach er von der absehbaren Wirkung des Besuchs des französischen Außenministers in Algerien: „Für diejenigen, die den Dialog und den Kontakt zur anderen Seite des Mittelmeers wollen, ist der Besuch positiv“, sagte er am Donnerstag abend, „wer dagegen ist, wird jetzt die Gewalt verdoppeln.“ Wenige Stunden später wurde der Erzbischof von Oran in der Nacht zum Freitag Opfer einer Bombe.
Der Kirchenmann hatte im Nordwesten Algeriens eine riesige Diözese mit sieben Millionen Algeriern und einigen weitversprengten katholischen Gemeinden zu verwalten. Bis zuletzt hatte er sich dagegen gewehrt, sein Leben zu ändern, das er auf der Seite seiner algerischen Freunde sah. Einen „islamisch-christlichen Konflikt“ wollte er auch nach der Ermordung der sieben Trappisten-Mönche vor zwei Monaten nicht erkennen. Claverie, der im Algerienkrieg die Interessen der Unabhängigkeitskämpfer verteidigte, sprach in den letzten Monaten seines Lebens von einem „innerislamischen Krieg“.
Claverie hatte in den letzten Stunden vor seinem Tod den französischen Außenminister Hervé de Charette auf dessen Besuch zu den Gräbern der sieben Mönche begleitet. De Charettes 48stündiger Algerienbesuch, der erste eines französischen Regierungsmitglieds seit drei Jahren, hatte eine Normalisierung zwischen den beiden Ländern einleiten sollten. Seit Februar, als de Charettes Mitarbeiter zu einer Vorbereitungsvisite in Algier waren, hatten die französischen Behörden die Reise wegen der explosiven Lage mehrfach verschoben. Als sie tatsächlich stattfand, war die innenpolitische Situation in Algerien auf dem Siedepunkt.
De Charette, der eine „herzlichen“ Botschaft von Frankreichs Präsident Jacques Chirac an seinen algerischen Kollegen Liamine Zeroual dabeihatte, verstand seine Reise ausdrücklich als „politisch“. Sie sollte der Anfang zu einer Wiederaufnahme der lange abgekühlten Beziehungen werden. Konkrete Ergebnisse werde es nicht geben. Tatsächlich kam nur die Ankündigung bevorstehender technischer Verhandlungen zwischen den beiden Ländern dabei heraus. Das von Zeroual schon lange gewünschte Treffen mit Chirac bleibt auf unbekannt verschoben.
Die anstehenden konkreten Verhandlugen zwischen den beiden Ländern betreffen vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Frankreich, das für Algerien weiterhin Handelspartner Nummer eins ist, beabsichtigt, seine Algerienkredite von sechs Milliarden Franc im vergangenen Jahr (zirka 1,8 Milliarden Mark) um 20 Prozent zu senken. Offizielle Begründung: Das Land habe sie erst Mitte 1996 benutzt. Algier begründet dies mit den hohen Zinsen der Franzosen. Des weiteren stehen Gespräche über die schikanöse Visumvergabe an, die Frankreich gegenüber algerischen Bürgern praktiziert. Auch über die künftigen Bedingungen für „Air Algerie“ soll gesprochen werden. Das Flugunternehmen hatte im vergangenen Jahr sämtliche Flüge von und nach Paris gestrichen, nachdem die französische Regierung es „aus Sicherheitsgründen“ auf einen besonderen Terminal von Roissy verlegen wollte.
Das tödliche Attentat gegen Claverie hat die Behauptung der algerischen Militärs, die sich als Herren der Lage im Land darstellen, Lügen gestraft. Zugleich könnte es ihrem Ruf nach stärkerer französischer Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus nützlich sein. Die Regierung in Algier fühlt sich von Frankreich geschnitten. Unter anderem, weil Chirac inzwischen beinahe den gesamten Nahen Osten bereist hat. Viel Mißtrauen zwischen Algier und Paris gibt es auch im Zusammenhang sämtlicher Attentate, die französische Staatsangehörige betrafen. Paris macht keinen Hehl aus seinem Verdacht, daß algerische Geheimdienste in mehrere von ihnen verwickelt waren oder zumindest die Ermittlungen erschwert haben.
De Charette würdigte am morgen nach dem Anschlag die Verdienste des Bischofs. Die französische Algerienpolitik werde jedoch ungehindert weitergehen.
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