: Benefiz für alte Filme
■ Tim Fischer sang in der Schauburg für Fassbinders USA-Tour UUSA_veranstaltet
Der Film ist nicht nur die teuerste, sondern auch eine der flüchtigsten aller Künste. Vor einigen Jahren mußte etwa Bertoluccis Film „Il Conformista“ aus dem Jahr 1971 bereits restauriert werden. Bei der Premiere der erneuerten Fassung auf den Filmfestspielen in Locarno erzählte der Regisseur, wie merkwürdig es für ihn war, daß er selbst nicht so schnell und augenfällig altern würde wie seine Filme. Wie in der Bremer taz am Samstag berichtet wurde, hat jetzt die „Rainer Werner Fassbinder Foundation“ ein ähnliches Problem mit seinem filmischen Werk. Dem Chansonsänger Tim Fischer ist es zu verdanken, daß die Aktion mit Benefizkonzerten „Fassbinder on the road to USA“ nach Berlin auch in Bremen stattfand, denn dies ist sozusagen sein Heimspiel.
Fischers Interpretationen von fünf Fassbinder-Texten waren dann auch eindeutig die Höhepunkte dieses ungewöhlichen Abends. Von stinkenden Straßen, dem Martyrium einer durch Akne entstellten Frau und von Liebe in Leder erzählt Fassbinder in dieser pessimistisch- leidenschaftlichen Lyrik. „Im kleinen Leben liegt der große Schmerz“, lautet einer der Refrains, der die Weltsicht des Filmemachers auf den Punkt bringt. Und Fischer fand genau den düster- rebellischen Ton, der zu diesen Worten paßte. Auch ein Lied, das Fischer schon lange in seinem Repertoire hat, fügte sich ideal in diesen Abend: seine Kollegin Cora Frost verarbeitete hierin Auszüge aus einem Fernsehinterview mit Fassbinders Mutter, und das Ergebnis ist ein raffiniertes Rollenspiel, das in seiner makaberen Boshaftigkeit Fassbinder sicher gefallen hätte.
Eifrig und vielleicht ein wenig zu ehrfürchtig am Geniekult Fass-binders gebastelt wurde dagegen bei der Rezitation von zwei seiner Texten durch Rosel Zech (die für Cineasten wohl immer Veronika Voss bleiben wird). „Betrachtung eines Schnittpunktes“ schrieb er mit vierzehn Jahren als einen so originellen und brilliant formulierten Schulaufsatz, daß er danach bestimmt im Lehrerzimmer offiziell zum Wunderkind erklärt wurde. Und in „Ende endlos“ philosophierte er bei einem Interview spontan über Gott und die Welt.
Wirklich beeindruckend und gut ausgewählt war eine Szene aus „In einem Jahr mit 13 Monden“, die Juliane Lorenz ganz schlicht und ohne schauspielerische Ambitionen vorlas: der Monolog einer Nonne mit kurzen Regieanweisungen wirkte so berührend und literarisch, daß er auch gedruckt in einer Anthologie Fassbinder alle Ehre machen würde.
Nachdem die erste Hälfte des Abends sich so direkt und intensiv auf Fassbinder bezogen hatte, war es schon etwas befremdlich, daß der letzte Programmpunkt, der Auftritt von „The Brothers Urb“ aus Estland, im Grunde gar nichts mit dem Filmemacher zu tun hatte. Die beiden Musiker füllten das Programm einfach mit ihren Liedern über Nachtigallen, Indianer und Schamanen auf. Nach dem Konzert gab es dann noch eine lange Filmnacht. Und wenn man günstig saß, konnte man aus den Augenwinkeln beobachten, wie gebannt Rosel Zech auch heute noch sich selbst in ihrer größten Rolle ansieht. Und ob die Veranstalter es nun absichtlich so arrangiert haben, ob es an der schlechten Kopie lag oder nur am nachlässigen Filmvorführer: „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ war oft nur erschreckend unscharf auf der Leinwand zu erspähen. Die Botschaft ist angekommen.
Wilfried Hippen
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