Hoffnung auf eine neue Demokratie

Am Wochenende ging in Mexiko das „Intergalaktische Treffen“ der Zapatisten zu Ende. Für nächstes Jahr ist ein Folgetreffen in Deutschland oder Italien vorgeschlagen worden  ■ Aus La Realidad Mark David

Auf der Wiese vor dem ehemaligen Schulgebäude im Ort La Realidad hatten Mitglieder der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) ein kleines Holzgerüst aufgebaut. Die Spitze bestand aus einer Plattform, auf der eine rote Fahne mit der aufgemalten Erdkugel angebracht war. Ein an einer Seite angebrachtes Plakat gab dem Gerüst seinen Namen: der Turm zu Babel.

Nichts hätte ein treffenderes Symbol für das „Intergalaktische Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus“ sein können, das am Wochenende im mexikanischen Bundesstaat Chiapas zu Ende ging. Mehrere tausend Menschen aus 45 Ländern hatten eine Woche lang in fünf verschiedenen Ortschaften für eine „freundschaftliche Invasion“ gesorgt, wie es der EZLN- Berater Adolfo Gilly ausdrückte. Besonders gut besucht waren jene Diskussionen, an denen Prominente wie die französische Präsidentenwitwe Danielle Mitterrand oder der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano teilnahmen.

Wer in der Erwartung kam, mit einem fertigen Rezept gegen den Neoliberalismus bedient zu werden, wurde enttäuscht. Die in den fünf verschiedenen Arbeitsgruppen erarbeiteten und vom abschließenden Plenum bereitwillig aufgenommenen Vorschläge blieben oft an der Oberfläche.

Einstimmig gefordert wurden Kampagnen zur Verteidigung der politischen Freiheiten, die Vernetzung der Aktionen gegen den Neoliberalismus und die gesellschaftliche Kontrolle der Massenmedien. Auch der internationale Drogenhandel, der sich mit der etablierten politischen und finanziellen Macht verbündet, wurde thematisiert.

Ein einheitliches Gegenmodell zum Neoliberalismus oder eine inhaltlich klare Bestimmung wurde jedoch nicht sichtbar. Schon die Definitionen von Neoliberalismus, Kapitalismus oder „Zapatismus“ bereiteten Schwierigkeiten.

Neoliberalismus sei, so hieß es beispielsweise in der Arbeitsgruppe Wirtschaft, „eine globale Offensive gegen das Leben und das Menschliche auf dem ganzen Planeten“. Diese Offensive setze sich um „in Verarmung, Arbeitslosigkeit, Abschaffung sozialer Rechte, Privatisierung öffentlichen Vermögens und öffentlicher Dienstleistungen, ökologische Zerstörung, Auflösung sozialer Organisationen, Autoritarismus, ideologische Herrschaft, soziale Atomisierung und die Unterwerfung alles Menschlichen unter die Logik des Geldes und des Marktes“.

Ob die Zapatisten, die ihren Aufstand im Januar 1994 begannen, gegen diese Offensive eine neue revolutionäre Ideologie setzen können, blieb umstritten. Als eine radikaldemokratische Bewegung mit Vorbildcharakter auch über Mexiko hinaus, schätzte immerhin der französische Soziologe Alain Touraine die EZLN ein. Sie repräsentiere eine „enorme politische, soziale und intellektuelle Erneuerung“, die mit dem Aufkommen der Arbeiterbewegung und des Sozialismus 1848 durchaus vergleichbar sei.

Die derart gefeierten Guerilleros saßen in den Diskussionsgruppen, beteiligten sich aber nur in Ausnahmefällen mit eigenen Beiträgen. Die Zapatisten sahen ihre Aufgabe vor allem darin, die Veranstaltung zu ermöglichen. Sprecher Subcomandante Marcos gestand dies auch unumwunden ein, als er nach seinen Erwartungen befragt wurde: „Keine Ahnung.“

Für den Schriftstellers Eduardo Galeano hat das Treffen schon durch die Anwesenheit der ausländischen Gäste einen Schutzzweck für die Zapatisten erfüllt. Rund 300 Besucher beteiligten sich an einer Demonstration, bei der die Freilassung von 16 inhaftierten Zapatisten gefordert wurde. Auch entschlossen sich einige Teilnehmer dazu, ihren Aufenthalt in Chiapas zu verlängern, nachdem Befürchtungen über eine neue Offensive der Bundesarmee laut wurden. Zur Zeit führt die EZLN mit der mexikanischen Regierung in der Ortschaft San Andrés Larráinzar allerdings Friedensgespräche. Dort wird ab heute wieder über das Thema „Demokratie und Gerechtigkeit“ gesprochen.

Auf jeden Fall signalisierten die 5.000 Menschen auf der Schlußversammlung in La Realidad der mexikanischen Regierung, daß sie mit nationalem und internationalem Widerstand gegen ein etwaiges militärisches Vorgehen rechnen muß. Die Zapatisten ihrerseits mußten erkennen, daß es nicht so einfach ist, Solidaritätsbekundungen in eine tragfähige Bewegung umzuwandeln. In der von Subcomandante Marcos gehaltenen Abschlußrede riefen sie dazu auf, im kommenden Jahr ein Folgetreffen in Europa abzuhalten. Mögliche Austragungsorte sind nach Ansicht des Comandante David Italien oder Deutschland. Ob das „Intergalaktische Treffen“ aber für weitere derartige Veranstaltungen eine ausreichende Grundlage geschaffen hat, muß sich erst noch zeigen. Anlaß gab es weder zu heftigem Pessimismus noch zu großer Euphorie. Aber zumindest steht der Turm zu Babel in La Realidad noch.