: „Deutz Argotron“, ein Held
■ Im Haferfeld nahe Bremerhaven tanzen die Helden der Land Art: der Senser, die Garbenbinderin und der Trecker „Argotron 4.90“
Gestern abend zeigte sich das Land von seiner besten Seite. Sanft senkt sich die Abenddämerung nieder, läßt zarten Bodennebel aufsteigen. Und lange noch von der Sonne angeglüht, verwandelt sich das Gelb der reifen Kornfelder in flammendes Orange. Üppiger Reichtum, barocke Fülle wandelt sich in surreales Goldgelb. Daß dieses Farbspiel der überreifen Augustfelder noch ein paar neu Lichtakzente aufgesetzt bekommt, ist der Kunst zu verdanken. Denn an den nächsten Sommerabenden wird in Donnern bei Bevenstadt bei Bremerhaven Kunst gemacht.
Eine Batterie von Autoscheinwerfern beleuchtet das wogende Kornmeer, holt die letzten Reflexe aus den glänzenden Haferhalmen. „Pflugland“ die neueste Produktion der deutsch-niederländischen Künstlergruppe „Das letzte Kleinod“ nutzt nach einer Idee von Jens-Erwin Siemssen die Felder um das 700-Seelen-Dorf Donnern als eine Landschafts-Bühne, auf der nun Bildertheater gespielt wird. Neu ist das für „Das letzte Kleinod“ nicht, schließlich haben sich die Künstler seit 1991 nie in konventionellen Theaterräumen bewegt, sondern alte Industriebrachen und stillgelegte Autowerkstätten als Bühnenbilder genutzt.
Neu ist das eher für die Bewohnen von Donnern. Neugierige Zaungäste, die mit dem Geländemotorrad die angrenzenden Feldwege entlangknattern, sie könnten „live“ oder auch mitinszeniert sein, rätselt der Zuschauer, der seiner Lage selbst nicht gewiß ist, schließlich wird er auf schwankenden Traktorhängern im Kriechtempo durch die Spiel-Felder gezogen.
Hier geht nicht nur die Sonne unter, sondern vergangene Zeiten dämmern wieder herauf. Wie aus einer längst vergangenen Welt wirken die Figuren, die uns im Haferfelde begegnen. In zügigem Rhythmus und mit raumgreifenden Schritten bewegen sich die Tänzerinnen (Hilde Broeckhove, Inge Effing, Judith Lodewijks und Anice Magi) als archaische Landarbeiterinnen erst durchs gelbe Meer und dann auf abgeerntetem Stoppelfeld. Die Frau mit dem riesigen Weidenkorb und ihre Kollegin mit der langen Heugabel, sie könnten beide den Bildern eines Landschaftsmalers aus dem 19. Jahrhundert entstiegen sein. Leicht pathetisch wirkende Figuren, in langen Stiefeln oder blauer Arbeitsjacke auf bloßer Haut, die die Majestät der körperlichen Arbeit durch ausgewählte Bewegungen feiern. Einen mächtigen Weidenkorb auf die Hüfte stemmen, die Heugabel in den Ballen spießen und mit langen Strichen die Sense wetzen, wer tut das noch? Wo ist Raum für diese großen Gesten?
Archäologie der Arbeit? Leicht ließen sich die bewegten Bilder so analysieren und zu postmodernen Seifenblasen aufblasen. Doch lange bleibt dazu nicht Zeit. Plötzlich saust in entgegengesetzter Richtung eine städtisch wirkende Erscheinung, schwarz-weiß gekleidet hochaufgerichtet, auf dem Fahrrad durchs Feld. Ein Witz, eine Irritation, ein Zeitsprung.
Und Rettung vor dem Verdacht der „Blut und Boden“-Romantik. Denn so einfach ist das mit der Glorifizierung der Landarbeit nicht. Die Helden der Arbeit bei der Landarbeit zu inszenieren, ruft leicht die Sprache der Propaganda auf den Plan. Ob in der stalinistischen Sowjetunion mit ihrem Kollektivierungsprogramm oder im Dritten Reich, als der norddeutsche Bauer in dieser Region mit dem Stedinger-Bauerndrama gefeiert wurde und als der Arier schlechthin galt, immer ähnelten sich die Bilder vom braugebrannten Oberkörper und blonden Zopf.
Gänzlich befreit von jeglichem rückwärtsgewandtem Verdacht zeigt man sich auf dem dritten Feld. Man hat es verstanden, eine gute Balance zwischen der modischen Land Art und den originellen Entdeckungen der Schauplätze zu finden und dem weitgereisten Zuschauer eine Landschaft zu zeigen, die sich beim Sonntagsausflug nicht einmal ahnen läßt. Aus Strohkuben entsteht die streng geometrische Grundform, eine Strohmauer. Doch die modernen Produktionstechniken bringen die Landarbeiter-Tänzer offensichtlich an die Grenze ihrer körperlichen Kräfte. Nur noch mit Mühe können die Ballen fortbewegt werden. Da taucht in all dem idyllischen Gelb der Strohwelt der Held auf: „Deutz Agrotron 4.90“, die Landmaschine. Mit einen Trecker hat dies metallicgrüne Ungetüm etwa so viel gemein wie mit einem Dinosaurier. Lautlos und hydraulisch gesteuert, spießt sein Einhorndorn die mannshohen Strohquader auf und lüpft sie spielerisch an ihren Platz. Das Land zeigte sich gestern abend bei Donnern von seiner besten Seite. Denn Unterstützung fand „Pflugland“ unter andern durch die Firma „Landtechnik M. v. Glahn“, ansässig im benachbarten Sellstedt.
Susanne Raubold
Weitere Vorstellungen: 10., 14., 15., 16., 17., 8. um 21 Uhr und am 18. 8. um 5 Uhr mit Frühstück. Info-Tel.: 04703/804. AB 27 Richtung BHV, Abfahrt Bevenstedt, Treffpunkt Gasthof „Lindenhof“
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